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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Autoren: Howard Jacobson
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aus ihr. Oder dessen Gegenteil. Worte wie Zionist, Tel Aviv oder Knesset, die im Zusammenhang mit Israel standen, spuckte Sam Finkler jedenfalls aus, als wären es Flüche.
    Eines Tages vertraute ihnen Libor ein Geheimnis an. Er war verheiratet. Und das seit über zwanzig Jahren. Mit einer Frau, die wie Ava Gardner aussah. Eine so wunderbare Frau, dass er es nicht wagte, seine Freunde mit nach Hause zu bringen, da er fürchtete, sie könnten von ihrer Schönheit geblendet sein. Treslove
fragte ihn, warum er denn jetzt nach so langer Zeit von ihr erzählte. »Weil ich glaube, dass ihr für sie bereit seid«, lautete die Antwort.
    »Bereit, geblendet zu werden?«
    »Bereit, das Risiko einzugehen.«
    Der wahre Grund war der, dass Malkie Nichten im selben Alter wie Treslove und Finkler hatte, Mädchen, denen es schwerfiel, Jungen kennenzulernen. Aus der Kuppelei wurde nichts – sogar Treslove fand es unmöglich, sich in Malkies Nichten zu verlieben, die mit ihr so gar keine Ähnlichkeit hatten, obwohl er sich natürlich auf der Stelle in Malkie verliebte, die alt genug war, seine Mutter sein zu können. Libor hatte nicht übertrieben. Malkie sah Ava Gardner so ähnlich, dass die Jungs ernsthaft darüber diskutierten, ob sie nicht tatsächlich Ava Gardner war.
    Danach lebten sie sich ein wenig auseinander. Nachdem Libor den Jungs seine Frau gezeigt hatte, wusste er nicht, wie er sie sonst noch beeindrucken konnte. Und die Jungs mussten ihrerseits noch eine Ava Gardner für sich selbst finden.
    Kurz darauf wurde die erste Biografie veröffentlicht, die zweite folgte bald danach. Pikant, amüsant und ein wenig fatalistisch. Libor wurde aufs Neue berühmt, berühmter noch als zuvor, da einige der Frauen, über die er geschrieben hatte, mittlerweile gestorben waren und man allgemein annahm, dass sie Libor mehr Geheimnisse anvertraut hatten als sonst einem Menschen. Es gab Fotos, die Libor zeigten, wie er Wange an Wange mit den Schönen tanzte, und man meinte fast sehen zu können, wie sie ihm das Herz ausschütteten. Sie vertrauten ihm, weil er so lustig war.
    Jahrelang blieben Sam und Julian nur über diese Biografien mit Libor in Kontakt. Julian beneidete ihn, Sam nicht so sehr. Geschichten über Hollywood drangen höchst selten bis in die menschenleeren mitternächtlichen Flure des Rundfunkhauses vor, auf denen Julian Treslove zu Hause war – falls denn die
Hölle ein Zuhause genannt werden kann. Und da ihm schien, dass Libors Karriere im Vergleich zu seiner eigenen den umgekehrten Verlauf nahm, fand er sie stets, wenn auch nur insgeheim, ziemlich faszinierend.
    Sam Finkler – oder Samuel Finkler, wie er sich damals noch nannte – hatte keinen modularen Uniabschluss in einer Küstenstadt gemacht. Er wisse nämlich, sagte er, auf welcher Seite sein Brot die Butter habe. Wie finklerisch, dachte Treslove voller Bewunderung und wünschte sich, er wüsste ebenso instinktiv, auf welcher Seite sein Brot gebuttert war.
    »Und? Was wirst du studieren?«, fragte er. »Medizin? Jura? Betriebswirtschaft?«
    »Weißt du, wie man das nennt?«, fragte ihn Finkler.
    »Wie man was nennt?«
    »Das, was du gerade machst.«
    »Interesse zeigen?«
    » Klischees verbreiten. Du willst mich in eine Schublade stecken.«
    »Du hast gesagt, du wüsstest, auf welcher Seite dein Brot die Butter hat. Verbreitest du damit nicht selbst Klischees über dich?«
    »Ich darf ja auch Klischees über mich verbreiten«, sagte ihm Finkler.
    »Aha«, sagte Treslove. Wie so oft fragte er sich, ob er je begreifen würde, was Finkler über sich sagen durften, Nicht-Finkler aber nicht.
    Ganz im Gegensatz zum Klischee – was, wenn man drüber nachdachte, nur eine weitere Spielart geistiger Klischeeverbreitung war, wie Treslove rasch begriff – studierte Finkler in Oxford Moralphilosophie. Dies schien Treslove damals zwar kein allzu kluger Karriereschritt zu sein –, und die fünf folgenden Jahre in Oxford, wo Finkler in kleinen Klassen Rhetorik und Logik unterrichtete, waren es allem Anschein nach noch viel weniger
– , doch rechtfertigte Finkler in Tresloves Augen seinen Ruf, ziemlich gewitzt zu sein, als er erst eines, dann ein weiteres, dann noch eines und schließlich noch ein viertes jener Selbsthilfebücher praktischer Philosophie veröffentlichte, die ihm ein Vermögen einbringen sollten. Der Existenzialist in der Küche hieß das erste, das zweite Das kleine Handbuch für den Stoizismus im Alltag . Danach hörte Treslove auf, sie zu kaufen.
    In Oxford
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