Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farben der Wirklichkeit

Die Farben der Wirklichkeit

Titel: Die Farben der Wirklichkeit
Autoren: Körner
Vom Netzwerk:
hatte, ging er in seiner Furcht gar so weit, daß er aus den Ästen der wenigen Bäume in der Umgebung Schutzdächer über den Wänden baute, um so den gefürchteten, alles vernichtenden Schauer abzuhalten. Aber es fiel kein Regen.
    Haar und Bart des Malers waren inzwischen grau geworden. Auch bemerkte er, daß er nicht mehr mit der früheren Behendigkeit auf seinen Leitern und Gerüsten umhersteigen konnte.
    Mehr als dreiviertel der Fläche war nun schon ausgefüllt und noch immer mangelte es dem Maler nicht an Ideen oder Willenskraft, sein Werk zu Ende zu bringen.
    Die Angst vor dem Regen war mit jenen Schutzdächern gestorben, die ihren Zweck nicht erfüllt hatten, langsam verrotteten, abbrachen und von da an am Fuß des Mauerwerks unbeachtet liegen blieben.
    Der Maler wußte nun, daß er sein Lebenswerk vollenden konnte. Mit fast demselben Eifer, der ihn einst als jungen Mann beflügelt hatte, stürzte er sich noch einmal in seine Arbeit.
    Endlich nahte der Tag, an dem der letzte Flecken Grau verschwinden sollte.
    Liebevoll führte der alte Mann mit zitternder Hand den Pinsel. Zärtlich glitt sein Blick über die Fassade, den Giebel und die Gesimse. Lr verharrte da und dort, in der Erinnerung an die Zeit, in welcher diese oder jene Darstellung entstanden war. Zufriedenheit erfüllte den Greis. Und Stolz, wie ihn ein Vater empfindet, dessen Sohn es ‚zu etwas gebracht hatte.
    Lag es am schwindenden Augenlicht oder hatte der Alte die Umwelt vollkommen vergessen: Er merkte nicht, wie sich fern am Horizont dunkle Wolken zusammenballten und unaufhaltsam näher trieben.
    Der letzte Strich war gezogen und erst jetzt fühlte der alte Maler, wie erschöpft er war. Vorsichtig stieg er die Leiter herab und legte sie auf den Erdboden. Dann wandte er sich um und gewahrte das drohende Unwetter, welches mit Windeseile heranzog.
    Zunächst spürte er in sich die Erinnerung an längst vergangene Ängste wachwerden. Doch dann wanderte ein Schimmer der Erkenntnis über sein faltiges Gesicht. Er ging ein Stück des Weges und setzte sich dann so auf einen Baumstumpf, daß er das Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit genau beobachten konnte — gerade, als die ersten Tropfen den Boden netzten. Bald prasselten heftige Regengüsse auf das Haus und in dicken Strömen rann die aufgelöste Farbe an den Wanden herab.
    So rasch, wie das Unwetter gekommen war, verzog es sich auch wieder.
    Die ganze Zeit über hatte der alte Mann mit verstehendem Lächeln dagesessen. Als sich die letzte Wolke aufgelöst hatte und die Sonne das blankgewaschene Haus erstrahlen ließ, stand der Alte auf und ging fort, ohne den Blick noch einmal zurückzuwenden.
     



Heinz Körner
    Das Licht am Ende des Ganges
     
    E ines Tages Hatte er beschlossen, die Gitterstäbe nie mehr loszulassen. Er konnte sich nicht mehr an den Zeitpunkt erinnern. Ihm war jedoch bewußt, daß die Entscheidung von Angst getrieben worden war: Angst vor dem Fallenlassen, Angst vor der Dunkelheit unter ihm, vor dem Ungewissen. So klammerte er sich krampfhaft an die Stäbe des vergitterten Fensters.
    Er wußte nicht einmal mehr, weshalb er hier war. Aus dem Dunkel seiner Erinnerungen leuchtete hin und wieder ein kleiner Fetzen Licht. Eine Zelle war da gewesen, eine Tür, dahinter ein dunkler Gang mit einem kleinen Licht am Ende. In sehr seltenen Augenblicken glaubte er, diesen Gang schon ein paar Mal betreten, das Ficht gesucht zu haben. Find dann war da ein unsagbarer Schmerz, der sein Gedächtnis zu verriegeln schien.
    Zwei Wächter waren am Finde des Ganges gewesen: ein Mann und eine Frau. Oft hatten sie ihn gehindert, den Gang zu verlassen und an die Sonne zu treten. Aber sie hatten ihn auch behütet und versorgt. Nie war deshalb sein Wunsch, sich den Weg in die Freiheit zu erkämpfen, so stark gewachsen, daß er es auch nur einmal ernsthaft versucht hätte. Aber diese Erinnerung war sehr tief in ihm versteckt, zeigte sich nur manchmal in hellen Nächten, wenn er träumte. Und diese Träume vergaß er immer schnell.
    Irgendwann hatte er etwas entdeckt: Wenn er mit aller Kraft hochsprang zu dem Fenster an der Wand und die Gitterstäbe zu fassen bekam, dann konnte er sich an guten Tagen daran hochziehen. Manchmal gelang es ihm, seinen Kopf zwischen die Stäbe zu drängen und einen Blick auf die Sonne zu erhaschen. Wie glücklich er gewesen war, als er das zum ersten Male schaffte!
    Seitdem hatte er sich oft an die Stäbe gehängt, Kraft gesammelt und versucht, die Sonne zu sehen. Wenn er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher