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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume
Autoren: Rose Tremain
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angeschwemmten Leichen in Kaniere lag, sondern hier, im Schifffahrtsbüro.
    Harriet betrat das Büro. Anders als in der Bank war es hier drinnen kalt, und der Boden war feucht, als sickerte das Salzwasser von den Decks der Fischkutter und der alten lecken Dampfschiffe in einem unaufhörlichen Gezeitenstrom hinein und wieder heraus.
    Sie erklärte dem Angestellten, sie befinde sich in einem Zustand der Ungewissheit: Sie wisse nicht, ob sie Witwe sei oder nicht. Sie habe ihrem Mann Geld zu übergeben, falls er noch lebe und sie ihn finde …
    Der Angestellte setzte sein Monokel auf, und durch das funkelnde Glas suchte er in seinen sperrigen Folianten nach dem Namen Joseph Blackstone. Auf und nieder wanderte sein Blick,und Spalte um Spalte las er die Namen. Zwischendurch murmelte er, allmählich würden die vielen Browns und Smiths »die Überprüfung der Passagierlisten lästig« machen, merkte aber auch an, der Name Blackstone »ist nicht so häufig«.
    Dann leuchteten seine Augen in der Mitte einer Spalte auf, und sein Blick blieb dort haften. Er presste seinen tintenbeklecksten Finger auf die Stelle.
    »Ich habe ihn gefunden!«, rief er mit echter Freude. »Joseph Roderick Blackstone. Hier ist er. Er hat sich am dreißigsten Juni auf einem australischen Dampfer, der Percy McKenzie , nach England eingeschifft.«
    Der Angestellte drehte das Buch um, damit Harriet selbst die Namensliste einsehen konnte. Und als sie Josephs Name dort stehen sah, merkte sie, dass sie tatsächlich erleichtert war.
    »Ist nach Hause gefahren, Madam«, sagte der Mann. »Hat Sie wohl sitzenlassen, oder? Scheint ja nicht viel Wert auf seinen Anteil von Ihrem Geld gelegt zu haben?«
    »Ja«, sagte Harriet. »Es sieht so aus.«
    Einen Moment lang fand sie es seltsam, dass Joseph nach alldem, was geschehen war, mit nichts als den paar Körnern, die er besaß, nach Hause gefahren sein könnte. Doch dann fiel ihr ein, dass der Fluss immer noch sehr viel Wasser führte, als sie mit Pao Yi zu der langen Reise ans Meer aufgebrochen war. Sie hatte den Fluss nicht durchqueren können, um an dem kleinen Strand ihren Goldschatz zu bergen. Doch für Joseph wäre die Stelle vom Nordufer her erreichbar gewesen. Und vielleicht hatte ihr Versteck mit dem randvollen Becher oberhalb der neuen Wasserlinie gelegen und war noch von Kies bedeckt. Sie stellte sich vor, wie Joseph dort hockte und den Becher ausgrub und den Inhalt in der Sonne funkeln sah. Das Gold . Vielleicht hatte er, während er den Schatz in seinem Reisebündel verstaute, für sich beschlossen, dass seine Frau ertrunken war, vielleicht hatte er sich aber auch einfach nur gesagt, dass alles, was ihr – als seiner Frau – gehörte, auch rechtmäßig sein war.
II
    Während der wochenlangen Fahrt auf der Percy McKenzie setzte Joseph Blackstone alles daran, am Leben zu bleiben.
    Er hielt sich nur in seiner kleinen Kabine auf, band sich an seine Koje, wenn es stürmte, lebte von Keksen und Wasser, zählte seine Goldkörner und probte die Worte, die er zur Millward-Familie sagen würde. Er hatte das Gefühl, nur für diesen Augenblick der Beichte zu leben.
    Er sprach mit niemandem. Manchmal ging er mitten in der Nacht an Deck und starrte in die Sterne oder stellte sich ganz hinten ans Heck des Schiffes und blickte ins fortströmende Kielwasser. Er hatte die dunkle Vorstellung, verfolgt zu werden, sogar hier in den Weiten des Ozeans, und er sehnte das Ende der Verfolgung herbei.
    Erst als Joseph schließlich in Parton Magna ankam, wurde ihm bewusst, wie merkwürdig er aussah, wie krank er inzwischen war. Sobald er sich im anderen Licht Englands erblickte, merkte er, dass er sich kaum noch aufrecht halten konnte.
    Er nahm ein Zimmer im Plough and the Stars. Er legte sich in ein schmales Bett und hörte den Tauben auf dem Dach zu. Er schlief traumlos.
    Er schickte nach einem Barbier, der ihm die Haare schnitt und seinen Bart abrasierte. Er trauerte um seine Mutter und wünschte, er hätte ihren Leichnam nach England bringen und Lilian hier, im Schatten der Kirche des Erlösers, begraben können.
    Joseph wollte eigentlich sofort zu den Millwards gehen. Er hatte geglaubt, sein so häufig geprobtes Geständnis in den ersten Tagen nach seiner Rückkehr machen zu können, und wenn er es erst einmal hinter sich hätte, wenn er sich dem Zorn und der Trauer der Familie ausgesetzt und ihnen Geld gegeben hätte, wäre er frei und könnte sein eigenes Leben fortsetzen.
    Doch jetzt stellte er fest, dass er noch
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