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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume
Autoren: Rose Tremain
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blickten auf, als Harriet die Bank betrat, ließen sich jedoch nicht in ihren Beschäftigungen stören. Sie hatten sehr selten mit Frauen zu tun. Nur Männer besaßen das Gold. Und so gingen sie davon aus, dass sie der Dame jetzt umständlich erklären müssten, weshalb die Bank für ihr Anliegen die falsche Adresse sei.
    Harriet sagte: »Guten Morgen«. Dann legte sie den staubigen Schal auf den Schaltertisch, knüpfte das Bündel auf, und die Männer sahen die mit Gold durchzogenen Felsbröckchen.
    »Ich weiß, dass das eine Strafe geben wird«, erklärte Harriet sofort. »Ich habe keine Schürflizenz bezahlt. Ich habe oberhalb von Kokatahi an einem Strand Gold gewaschen. Ich wurde von der Flut fortgerissen und habe in einer Höhle überwintert. Ich saß dort fest, konnte nicht hinunter zur Küste und auch nicht über den Fluss zurück zu meiner alten Stelle. All dies hier habe ich aus der Höhle geholt.«
    Das Bestandsbuch wurde beiseitegelegt, das Messinggewicht weggestellt, und die beiden Bankmänner streckten die Hand aus und berührten die Steine und fuhren mit den Fingern an den goldenen Adern entlang. Harriet setzte sich auf einen hohen Hocker und wartete. Sie konnte die Wärme des Feuers im Rücken spüren und sein leises Zischen hören.
    »Sie sagten, Sie besitzen keine Schürflizenz?«, fragte der eine Mann mit erstickter Stimme.
    »Nein«, erwiderte Harriet.
    »Zwanzig Prozent«, verkündete er. »Das ist das Bußgeld. Ich verweise auf Regel Sieben der Bestimmungen zur Regulierung von Erwerb und Veräußerung goldhaltigen Materials in der Provinz Canterbury vom März 1865 . Und ich zitiere: ›Jedwedes Gold, welches ein Mann findet, sei es durch anerkannte Goldwaschmethoden, sei es auf Weisen, die hier nicht weiter erläutert werden, welches er aber mutwillig an sich gebracht, ohne den Besitz einer wirklichen, verbürgten Schürflizenz, ausgegeben vom Verwalter der Provinz, soll mit einer Bußzahlung an die Staatskasse der Provinz abgegolten werden, welche zwanzig Prozent des Markwerts des Goldes beträgt, welchselbiger Wert ermittelt wird durch …‹«
    »Sie müssen nicht fortfahren«, sagte Harriet. »Ich werde die Buße zahlen. Ich möchte nur wissen, ob Sie das Gold kaufen werden oder ob ich es zu einer anderen Bank bringen soll.«
    »Wir werden es kaufen«, erklang es im Chor.
    »Selbstverständlich werden wir es kaufen«, sagte der Mann, der die Eintragungen gemacht hatte. »Dürfen wir Ihnen etwas anbieten? Einen Tee? Tee mit einem Schuss Rum, während Sie warten?«
    »Nein, vielen Dank«, sagte Harriet. »Geben Sie mir eine Quittung über das Gold, und ich komme später wieder, um zu sehen, ob ich reich bin oder nicht.«
    »Sie sind reich«, sagte der Mann, der die Gewichte poliert hatte. »Was Sie da gebracht haben, Madam, ist eine sogenannte Heimfahrkarte. Nichts weniger.«
    Harriet trat aus der Bank von Neuseeland. Sie mochte nicht ins Hotel zurückkehren und dort in ihrem Zimmer sitzen. Sie wollte laufen.
    Sie hatte kein bestimmtes Ziel, sann aber über ihren neuen Reichtum nach. Und wieder einmal dachte sie, dass es Joseph war, der sich so nach Reichtum verzehrt hatte, nicht sie. Aber wenn am Ende nun sie reich wurde, würde sie sich bemühen,ihrem Kind ein gutes Leben zu bieten. Denn das war jetzt das Einzige, was für sie zählte. Sie würde Pao Yis Sohn gebären (sie war sicher, dass es ein Junge sein würde), und in dem süßen Gesicht dieses Jungen würde sie das Gesicht ihres Liebsten sehen, und dieser Junge würde sie nie verlassen und in die Provinz Guangdong zurückkehren, er würde nie ein Schiff besteigen und fortsegeln; er würde immer ihr gehören, und niemand würde ihn ihr jemals wegnehmen. Sie würde ihn Hel nennen. Sie würde sein schwarzes Haar bürsten, bis es glänzte. Sie würde ein vor den Südwinden geschütztes solides Holzhaus für ihn bauen. Sie würde ihm erzählen, dass sie einst, tief in den Bergen, eine goldene Höhle entdeckt hatte …
    Diese Fantasien machten sie ganz ungeduldig, weil es noch so lange dauern würde, bis das Kind geboren war und sie es in den Armen halten konnte, und so merkte sie gar nicht, dass sie plötzlich vor dem Schifffahrtsbüro von Hokitika stand. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, hierherzukommen. Sie war einfach nur herumspaziert. Doch als sie begriff, wo sie war, dachte sie mit einem Mal, dass sich das Joseph-Rätsel vielleicht hier lösen ließe, dass die Lösung nicht in den Listen der Toten und auch nicht in der Suche nach
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