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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume
Autoren: Rose Tremain
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wollte lernen, wie man aus Erde und dem gehäckselten gelben Tussockgras Lehm zum Bauen anmischt. Sie wollte bei allem selbst mit Hand anlegen. Auch wenn es viel Zeit erfordern würde. Auch wenn ihre Haut in der Sommerhitze verbrennen würde. Auch wenn sie jeden Handgriff wie ein Kind neu lernen müsste. Zwölf Jahre lang war sie Gouvernante gewesen. Jetzt hatte sie einen Ozean überquert und war an einem neuen Ort, aber sie wollte immer noch weiter, wollte in die Wildnis.
    Joseph Blackstone hatte sie voller Zärtlichkeit angeschaut. Er sah, wie glühend sie sich wünschte, zur nächsten Station ihrer Reise aufzubrechen, doch, wie immer, war da noch Lilian, die berücksichtigt werden musste. Wie immer war die Entscheidung, die er zu treffen hatte, nicht einfach.
    »Harriet«, sagte er, »es tut mir leid, aber du musst in Christchurch bleiben. Ich verlasse mich darauf, dass du Lilian hilfst, sich an das Leben in Neuseeland zu gewöhnen. Zum Beispiel muss ein Gesangverein für sie gefunden werden.«
    Harriet erwiderte, mit Hilfe von Mrs Dinsdale, in deren sauberer, freundlicher Pension sie wohnten, könne Lilian doch selbst einen Gesangverein für sich finden. »Und dann«, fügte sie hinzu, »wird sie mich nicht mehr brauchen, Joseph, denn sie ist die Sängerin, nicht ich.«
    »Hier ist doch alles so fremd«, sagte Joseph. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr diese neue Welt eine Frau von dreiundsechzig Jahren verstören muss.«
    »Das Quartier ist nicht fremd.« Harriet blieb beharrlich. »Der Krug und die Waschschüssel haben fast dasselbe Muster wie der Nachttopf, den deine Mutter in Norfolk unter ihrem Bett stehen hatte …«
    »Draußen vorm Fenster singen andere Vögel.«
    »Ja, aber immerhin singen da Vögel und keine Affen.«
    »Das Licht ist anders.«
    »Heller. Aber nur eine Schattierung heller. Es wird ihr nichts anhaben.«
    Und so ging sie immer weiter, diese Unterhaltung, die keine Unterhaltung war, sondern ein Krieg, ein kleiner Krieg, der allererste, den sie führten, den sie aber niemals ganz vergessen würden und den Harriet schließlich verlor. An dem Morgen, als Joseph zu der ockerfarbenen Ebene aufbrach, musste Harriet sich abwenden, damit Joseph und Lilian nicht sahen, wie zornig sie war.
    Sie eilte die Holztreppe zu ihrem Quartier hinauf, ging in den grün gestrichenen Salon und schloss die Tür. Durch das offene Fenster konnte sie den Ozean hören, und sie stellte sich davor und atmete die salzige Luft. Sie wünschte, sie wäre ein Vogel oder ein Walfisch – irgendein Geschöpf, das zwischen dem Tun der Menschen und ihrem Vergessen hindurchschlüpfen und an sein eigenes Ziel gelangen könnte. Denn sie wusste, dass siein all ihren vierunddreißig Jahren niemals auf die Probe gestellt worden war, niemals die von der Gesellschaft gesetzten Grenzen überschritten hatte. Und jetzt war sie wieder einmal zurückgelassen worden. Joseph würde ihr gemeinsames Haus in der leeren Ebene aus dem Nichts erschaffen, und Joseph würde ein Feuer unter dem Sternenhimmel machen und den Schrei des fernen Buschlands hören. Harriet gähnte. Sie spürte, wie ihr Zorn hier im gepflegten Salon allmählich einer tiefen, lähmenden Langeweile wich.
III
    Siedler aus England hießen »Kakadus«, wurde Joseph belehrt.
    »Kakadus«? Er konnte sich nicht vorstellen, wieso. Er wusste nicht einmal mehr, was für Vögel Kakadus eigentlich waren.
    »Scharr ein bisschen in der Erde, nimm, was du von ihr kriegen kannst, kreisch ein bisschen, und dann zieh weiter, wie ein Kakadu.«
    Joseph dachte an einen Papagei, der grau und grämlich zwischen Körnern in einem Käfig trauert. Er sagte, das treffe auf ihn nicht zu. Er sagte, er wolle sich am Okuku-Fluss ein neues Leben aufbauen, Gewinn aus seinem Grund und Boden ziehen, nach Dingen streben, die von Dauer seien.
    »Schön für Sie, Mister Blackstone«, meinten die Männer. »Das ehrt Sie.«
    Was Joseph nicht erwähnte, war, dass er in England etwas Schändliches getan hatte.
    »Sie sind ja ein ganz Nachdenklicher«, sagten die Männer, als sie mit dem Bau des Lehmhauses begannen. Sie mischten Erde und Gras für die Mauern, brachen Steine für den Kamin, und sie waren stärker als Joseph, der häufiger ausruhte. Sie beobachteten ihn dabei, wie er hinunter in die Ebene starrte, die hier»Tafel« hieß – eine weite Fläche mit kaum einem Baum, die sich endlos unter ihm dehnte. Er blickte unbewegt wie eine Eule.
    »Einen Penny für Ihre Gedanken?
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