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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume
Autoren: Rose Tremain
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sollte. Ohne diesen Makel, diesen kleinen elfenbeinernen Makel an ihrer, wie er es für sich nannte, unangreifbaren Erscheinung, hätte er vielleicht gar nicht den Mut gehabt, sie zu heiraten. Dieser Zahn hatte ihn hoffen lassen, dass es ihm gelingen werde, diese Frau zu lieben. Und wenn er sie dann schließlich liebte und ein anständiges Leben mit ihr führte, ein Leben ohne Hass und Zerstörung, dann könnte die Vergangenheit hoffentlich allmählich verschwinden. Es würde ihm möglich sein, ohne diese Vergangenheit alt zu werden, so wie ein Mann, wenn er achtgibt, ohne zerstörerisches Verlangen alt werden kann.
    Das Einzige, wovor er sich fürchtete, war, dass Harriet ihndrängen könnte, ein Kind zu zeugen. Über dieses Thema hatte er nie mit ihr gesprochen, aber er hoffte, dass sie es spürte: Er hoffte, sie begriff, dass ein Kind nicht Teil des Handels war, den sie beide eingegangen waren. Sie war eine kluge Frau. Er betete, sie möge begreifen, dass es nur sie beide und Lilian und das, was sie daraus machten, geben durfte; nur sie beide – und das bis zum Schluss.
VI
    Und so verging für Harriet Blackstone langsam der Sommer. Im Januar, als die Temperaturen in Christchurch derart anstiegen, dass Lilian zweimal auf Mrs Dinsdales Treppe ohnmächtig wurde, gab es Gerüchte, überall in der Stadt fielen die Häuser zusammen. Einige behaupteten, in Neuseeland verstehe man sich eben nicht auf Baustatik und noch vor Jahresende würde eins nach dem anderen in sich zusammenstürzen.
    Harriet untersuchte die Wände und die Decke ihres Zimmers. In der Dunkelheit hörte sie kein Knarren und keine Bewegung. Zwar trat weiterhin Firnis in Blasen aus den Brettern, aber sonstige Vorboten einer drohenden Gefahr gab es nicht. Doch wie sollte jemand wie sie, die nichts vom Bauen verstand, auch darum wissen? Wie konnte sie sicher sein, dass das Dach nicht einstürzte und sie im Schlaf erschlug?
    Sie ging zur McArthur Street und schaute sich ein eingestürztes Gebäude an. Sie versuchte, sich den exakten Punkt vorzustellen, an dem die Erde, seit das Haus dort stand, an den Dachsparren gezerrt, sie gerufen, ihnen zugezwinkert hatte. Sie wusste, wie abstrus und wie weiblich es war, zu glauben, dass die mächtige Erde schon von Anbeginn an alle existierenden Dinge durch Zerren und Zwinkern zu sich gerufen habe und dass jedes einzelne Ding zu seiner Zeit in sich zusammenfalle. Aber sie hoffte trotzdem, Joseph werde beim Bau desLehmhauses auf so etwas achten und genügend Fantasie haben, um auf die Erde zu hören.
    Joseph Blackstone. Sie kannte ihn noch gar nicht. Sie wusste nur – was sie gleich zu Anfang erkannt hatte, ohne sonderlich beunruhigt zu sein –, dass er ein ziemlich durchschnittlicher Mensch war. Sie wusste, dass sie beinahe nicht zusammengekommen wären. Doch dann war er, aus keinem für sie erkennbaren Grund, eines Herbstabends wieder erschienen, war irgendwie hastig zu ihr gestolpert, als sei ihm plötzlich eingefallen, was er sagen und tun wollte, als habe bei ihrem ersten Kennenlernen ein Teil von ihm gefehlt, den er dann wiedergefunden hatte.
    Er umwarb sie mit Träumen von Flucht. Sie saß, den Kopf in seinem Schoß, auf dem Kaminvorleger, und er beschrieb ihr das Paradies, das er auf der anderen Seite der Erde erschaffen würde. Und seine Worte brachten sie dazu, ihn fest zu umklammern, als er sie berührte. Und als sie seine Wärme spürte und seine Kleidung roch, deren Duft sie an Birkenrinde erinnerte, merkte sie, wie satt sie ihr Leben als Gouvernante hatte, wie leid sie es war, nichts zu verdienen, nirgendwo hinzukommen und ihre Tage am kargen Feuer fremder Menschen zu verbringen. Und so wurde ihr binnen kürzester Zeit klar, dass sie nur zu gern mit Joseph Blackstone losziehen wollte, um die Aussteuer für eine neue Welt zu kaufen, um in den Himmel zu schauen und sich die Sternbilder einer anderen Hemisphäre auszumalen.
    Es blieb jedoch kaum Zeit, um Hochzeit zu feiern. Kaum Zeit, um den Ring überzustreifen. Kaum Zeit, um in einem hohen Bett zu liegen, während er das tat, was er mit der Hand auf ihrem Gesicht tat (etwa, damit sie es nicht sah?), und sich zurückzog, kurz bevor er zu seinem Vergnügen kam. Und dann hastete er, in unbändigem Tatendrang, fast einer Art Raserei, mit ihr von Geschäft zu Geschäft, zog aus seinen muffigen Taschen Listen, Maßbänder und Geld. Stiefel, Schultertücher, Strümpfe,wollene Kleider und Schürzen – solcherlei Alltagsbekleidung schien die Währung ihrer Ehe zu
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