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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition)
Autoren: Jan von der Bank
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sein.
    Eine Explosion wie die des Torpedos konnte niemand überleben. Die einzige Erklärung, die Ole einfiel, war, dass er den Abschuss ebenfalls gesehen hatte und es ihm als Einzigem noch rechtzeitig gelungen war, von der Barkasse zu springen.
    Jetzt stand er vor Ole, und plötzlich huschte das alte, überhebliche Grinsen über sein blutiges Gesicht.
    »Wie kann einer nur so blöd sein und unter Vollzeug in so einen engen Sund reinfahren?«, höhnte er. »Es ist, wie ich immer gesagt habe, Storm, du bist ein lausiger Taktiker! Und ein gottverdammter Idiot!«
    Damit stürzte sich Richard auf ihn. Ole schlug zu, traf aber nicht richtig. Richard hingegen warf sich mit roher Gewalt auf ihn, krallte sich in seinen Kleidern fest und zog ihn zur Seite. Mühsam konnte Ole sich befreien, und für einen Augenblick umkreisten sie einander im flachen Wasser wie zwei angeschlagene Boxer.
    Der Verlierer zahlt! Ole wusste sehr gut, dass dies der Kampf auf Leben und Tod war, auf den alles hatte hinauslaufen müssen. Aber er konnte sich nicht entsprechend zur Wehr setzen, war einfach noch zu benommen von Richards erster Attacke, bei der er ihn mit dem Kopf gegen die Bordwand geschlagen hatte.
    »Es wäre besser gewesen, wenn du dich nie im Leben an die Pinne eines Segelbootes gesetzt hättest!«, knurrte Richard jetzt. »Du kannst es einfach nicht!«
    »Ist doch dein verdammtes Schiff, was da hinten brennt, und nicht meins!«, keuchte Ole mühsam.
    »Und wenn schon. Gewonnen hat der, der im Ziel die Nase vorn hat und den Preis mit nach Hause nimmt. Das Ziel ist hier, und die Pläne gehören mir!«
    Korfmanns Faust traf ihn ins Gesicht.
    Der Schmerz war dumpf und taub. Ole taumelte rückwärts und stolperte über einen Stein. Schon war Richard wieder über ihm, packte ihn und stieß ihn mit aller Gewalt unter Wasser.
    Ole wehrte sich, versuchte sich mit den Beinen vom Boden abzustoßen, sich aus dem stählernen Griff Korfmanns zu befreien, der ihn mit dem Rücken auf den Grund des Strömsundes nagelte, lächerliche vierzig Zentimeter unter der Wasseroberfläche.
    Aber es war zwecklos. All seine Bewegungen waren seltsam kraftlos.
    Eine Regatta ist eine Parabel für das Leben. Von Wellersdorffs Worte. Nun, sie hatten gesegelt und verloren. Jetzt war ihrer beider Leben vorbei. Das des Konteradmirals und seins.
    Plötzlich war Ole auf eine beängstigende Art gelassen. Wehrte sich nicht mehr. Blickte durch das klare Salzwasser hindurch nach oben, vorbei an Korfmanns Gesicht, das von der bewegten Wasseroberfläche zur Grimasse entstellt wurde, hinüber zum weißen Bug der Lotten, die tatsächlich sein Schicksal geworden war. In ihrem Vorschiff hatte er Lina geliebt, und dann war er mit ihr in die Falle gesegelt. Hier, im Ziel der Regatta.
    Über dem Mast war der Himmel zu sehen. Noch immer zogen die Wolken tief und schnell. Aber jetzt glaubte Ole, darin bereits einen zarten Hauch von Blau zu sehen.
    Was er noch an Sauerstoff in seinen Lungen gehabt hatte, war aufgebraucht. Das Bild vor seinen Augen begann dunkel zu werden. Er würde sterben. Ertrinken. Wie vor ihm sein Großvater Ove Storm, dessen Initialen auf seinem Takelmesser eingraviert waren. Sieh bloß zu, dass du’s nie irgendwo liegen lässt. Hatte er nicht. Es befand sich ja in seiner Hosentasche …
    Etwas in Ole, vielleicht sein friesischer Widerspruchsgeist, begehrte gegen dieses Ende auf. Solange er das Messer noch hatte, durfte er eigentlich nicht sterben!
    Er griff danach. Richard merkte es nicht. Ole klappte die Klinge auf und rammte sie mit aller Kraft, die er noch in sich hatte, nach oben.
    Eine Sekunde später lockerte sich Richards Griff. Die Wasseroberfläche über Ole färbte sich rot. Ein wenig so wie die Farbe der See am gestrigen Morgen. Nur dass Ole es jetzt von unten sah, und Himmel und Wasseroberfläche eins waren.
    Dann wurde aus dem Rot Schwarz.
    Er durfte nicht vergessen aufzutauchen. Aber er konnte nicht. Hatte einfach keine Kraft mehr, das Gewicht von Richards Körper von sich zu schieben.
    Vielleicht würde dort unten am Grunde des Strömsundes ja eine Meerjungfrau auf ihn warten, die ihn im Empfang nehmen und trösten würde.
    Im Hinabgleiten öffnete Ole noch einmal die Augen.
    Da war sie schon! Unscharf erkannte er ein Gesicht, das auf ihn herabblickte. Lange, blonde Haare und Augen, grün und unergründlich wie die See.
    Im nächsten Augenblick riss Lina ihn aus dem flachen Wasser nach oben.
    »Ole!«, rief sie und schüttelte ihn. »Nein, Ole!
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