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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Autoren: Torsten Körner
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sich Phasen, Momente von Introvertiertheit, die müssen Anlauf nehmen, um aus sich herauszutreten, manchmal reicht ein Schritt, manchmal müssen es mehr sein. Melancholie ist bisweilen zu Gast. Jeder hat eine andere Distanz zum Vater gewählt. Peter hat seinen Faden, trotz politischer Differenzen, am gleichmäßigsten durch die Jahrzehnte gesponnen. Lars war dem Vater am nächsten, entfernte sich aber auch am weitesten von ihm. Als er das Gefühl hat, der Vater bemühe sich nicht genügend, bestehende Unterschiede zu respektieren, bricht er den Kontakt 1986 für mehrere Jahre rigoros ab. Matthias, am stärksten betroffen von der Scheidung der Eltern und der Persona-non-grata-Haltung, die sein Vater gegenüber seiner Mutter einnimmt, ist emotional am tiefsten entfremdet.
    Den Brandt-Söhnen eignet etwas Jungenhaftes, sie wirken, als laufe ihnen hartnäckig der Junge in kurzen Hosen hinterher, der sie einmal waren. Konserviert ein Vater, der nicht sterben kann, weil ihn das Kollektiv erinnernd konserviert, weil sein Bild auch in der Gegenwart noch mit Bedeutung gefüllt wird, weil die Republik sein Gesicht adoptiert, seine Kinder gleich mit, da sie immer noch aufsehen müssen zu ihm, wie sie einst als Kind zu ihm aufsahen, als sie von unten zu ihm aufsahen, seine Miene zu lesen versuchten? Und sah der Mann, der tot ist, aber immer unvergänglicher wird, nicht schon zu Lebzeiten mit fünfzig älter aus als sie mit sechzig? Die Gewalt, die vom Vater ausging und ausgeht, ist nicht seine, es ist die der anderen, die aus dem Vater mehr machen, als Väter und Söhne zu tragen vermögen.
    Alle drei sind Geschichten-Erzähler in wechselndem Gebiet, mit wechselnden Ausdrucksmitteln. Matthias als Anwalt von Figuren, Peter als Deuter von Kollektiva, Mentalitäten und politischen Prozessen und Lars als Romanautor. Der Öffentlichkeit ist Lars Brandt erst mit seinem Buch »Andenken« als Schriftsteller bekannt geworden, doch er hat immer geschrieben. Im Selbstverlag erscheinen unter dem Pseudonym David Stein Bücher wie »Spätsommertage. Novelle in vier Sätzen« (1980), »Nicht wieder. Roman eines Tagebuchs« (1981) oder »Rosenquarz« (1982). Die Bücher liegen im Nachlass seines Vaters, im Nachlass der Mutter sah ich sie nicht. Das war gestern, von diesen Büchern will er heute nichts wissen, zumindest will er nicht, dass man sie heute hervorkramt, um ihn jetzt dadurch zu betrachten. »Lars«, sagt ein alter Freund über ihn, »wollte sich immer neu erfinden.« Sich neu zu erfinden, das ist ihnen allen gelungen, mit und nicht gegen den Vater, der ihnen nach seinem Tod immer näher kommt, weil sie vor nichts davonlaufen müssen. Jeder hat frei wählen können und seinen »Andenken«-Dienst so verrichtet, dass daraus ein vitaler Vater-Sohn-Dialog wurde. Lars mit seinem Buch »Andenken«, Matthias in der Rolle des Spions Günter Guillaume und Peter als Bewahrer des »Mehr Demokratie wagen« haben ihrem Vater gezeigt, was sie können, ohne ihn zu demontieren. Sie verdanken ihm viel, er ihnen nicht wenig.
    Alle Brandts sind Spaziergänger, eher schlendern sie, als dass sie wandern, nein, Power Walker sind das nicht. Mit Matthias um den Schlachtensee, Stamm- und Heimatstrecke, hier hat er erste Kinderjahre verbracht, hier fand in der »Fischerhütte« die Trauerfeier für Rut Brandt statt, hier schwammen Peter und Lars als Kinder ans andere Ufer und winkten ihrer Mutter zu, hier tauchte ihr Vater die Ruder ins Wasser. Wir sprechen über familiäre Bande, über Erinnerungsbilder, über letzte Begegnungen und das, was eine Familie ausmacht. Ein Apriltag.
    »Haben Sie ein besonderes Familienbild vor Augen?«
    »Es kann sein, dass es der siebzigste Geburtstag meines Vaters war, genau erinnere ich es nicht mehr. Es war einer der letzten Besuche, die wir drei Brüder zusammen bei meinem Vater in Unkel unternommen haben. Wir spazierten zusammen am Rhein entlang, und ich blieb ein Stück zurück und sah vor mir drei Männer mit absolut identischem Bewegungsablauf und identischer Körperhaltung. Sie hatten alle drei die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, sie zeigten alle diesen leichten Watschelgang. Es war im Grunde genommen ein sehr friedlicher Moment. Ich war erstaunt, aber auch berührt über diese Beobachtung, es sah komisch aus, gerade weil es in dem Gespräch um ernste Sachen ging. Gerade weil es so ernst war, war es lustig. Ich musste innerlich lachen, das ist meine erste Reaktion. Es ist ja nicht gerade unkomisch, dass es so
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