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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Autoren: Torsten Körner
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vorbehalten blieb, sondern auch weil sie als Frau des Bürgermeisters, des Außenministers und des Kanzlers eine öffentliche Rolle lebte, was im Grunde genommen ein ganz eigener Beruf ohne Berufsausbildung war. Niemand wird bestreiten, dass sie diese Rolle glänzend gespielt hat, weil niemand das Gefühl hatte, sie müsse sie spielen. In Bonn besaß sie einen ganz eigenen Rut-Brandt-Fanclub, der ihr die Herzen entgegenschlagen ließ. Sie besaß eine ganz unstrategische Motivationsgabe, die ihr, aber auch ihrem Mann half. Die Mitarbeiter ihres Mannes wusste sie durch ihren Charme einzunehmen, und sie kompensierte durch ihr Begegnungstalent manches, was ihr Mann durch seine häufig genug abweisende Aura erstickt und unterdrückt hatte.
    Rut Brandt baute ihm und ihrer ganzen Familie Brücken in den Alltag, während ihr Mann häufig keinen Ausweg aus seiner Außerordentlichkeit fand. Dass er der »andere Deutsche« war, war ihm Freiheit und Festungshaft zugleich, denn ebenso wie er an diesem Anderssein litt, ebenso bezog er daraus seine Kraft. Kann man jemanden, der sich zur Regeneration seines Selbst ganz und gar von allem abscheiden und in sich zurückziehen muss, vollends von dieser Depression befreien, ohne ihn zu einem ganz anderen zu machen? Und wie lebt man mit so einem Menschen, dem die Geschichte schon zu Lebzeiten ihr Kleid anzieht? Ist das nicht ein grausamer Akt, in vivo in eine Statue verwandelt zu werden? Wie fühlt es sich an, wenn man von der Historie petrifiziert wird, wenn man von anderen auf einen Sockel gestellt wird, dem andere nachsagen, man habe ihn sich selbst gezimmert, bis man sich zweifelnd fragt, ob nicht was dran ist an diesem Vorwurf? Wie lebt man mit einem Mann zusammen, der seine seelischen Batterien im Kontakt mit der Masse und mit dem geschichtlichen Augenblick auflädt, der die Masse als Notstromaggregat braucht? Kann man dessen Bedürfnisse überhaupt in den eigenen vier Wänden stillen? Und wächst so einer nicht, ob er will oder nicht, in unerreichbare Gefilde als Vater und Ehemann? Nein, nein, ich stelle dem Mann hier kein familiäres Entschuldigungsschreiben aus, ich versuche nur zu beschreiben, dass die Brandts keine normale Familie waren. Sie hatten all die Probleme zu bewältigen, die jede andere Familie auch zu bewältigen hatte, aber darüber hinaus waren ihnen Aufgaben gestellt, die eher nicht zum normalen familiären Last-Pflicht-Paket gehörten. Wie schafft man es als Sohn, sich treu zu bleiben, wenn einen die Öffentlichkeit zerpflückt oder wenn die Partei nach der »Rute« ruft, die der Vater nicht im Arsenal seiner Autorität weiß? Wie lebt es sich als Sohn mit einem Vater, der überall da, wo man hin will, schon gewesen ist? Muss man den symbolischen Wettstreit mit dem Vater, den Wettlauf um die Identität nicht von vornherein verloren geben? Lauf Junge, so viel du willst, sagt das Vater-Vaterland, in meinen Schuhen legst du die Strecken nicht zurück, die mir gehören. Wo sind die weißen Flecken, die unberührten Gebiete auf den Landkarten der Selbstverwirklichung?
    Im Familienbild nimmt Ninja sicherlich eine Sonderstellung neben ihren Brüdern ein, denn sie, das Kind aus erster Ehe, ist in Norwegen niemals den kollektiven Brenngläsern und der öffentlichen Röntgenstrahlung des Übervaters ausgesetzt gewesen. Ihre Probleme mit ihm waren andere, sie musste angestaute Fremdheiten und Distanzverhältnisse überwinden, sie musste Vertrautheit oft neu erarbeiten, wobei sie von Rut unterstützt wurde. Andererseits war sie durch diese Semi-Distanz auch davor geschützt, ihr Ich irrlichternd an ihn zu verlieren oder mit ihm rivalisieren zu müssen. Sie war raus aus diesem Überbietungsspiel, aus dieser Lebensleistungsschau. Sie konnte ihre Wege ungestörter gehen und leben und trug ihrem Vater auch keinen Zorn nach, weil der die Mutter verlassen hatte. Das Dreieck zwischen Carlota Thorkildssen, Rut Brandt und Ninja Frahm ist von emotionaler Klugheit gekennzeichnet. Carlota hat ihre Tochter gehen lassen, wenn der Vater rief, und sie hat Rut als »Stiefmutter« akzeptiert und unterstützt. Ninja wiederum hat in Rut nie die Frau gesehen, die ihrer Mutter den Vater abspenstig gemacht hat, sondern hat sie als Außenmutter im Land des Vaters angenommen und Geborgenheit bei ihr gefunden. Trennendes, das war Konsens zwischen den Frauen, soll überwunden werden. Die Großzügigkeit der Frauen gegenüber dem Mann Brandt war nicht eben klein, denn schließlich hatte der nicht nur
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