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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Autoren: Torsten Körner
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kennengelernt habe: Ruhige Verlässlichkeit. Jeder nimmt sich auf seine Weise Zeit und steht auf andere Weise in der Zeit. Von Lars Brandt ziehe ich eine Postkarte aus dem Briefkasten, später schickt seine Frau Renate Fotos auf digitalem Weg, die ich erbeten hatte, von Ninja empfange ich E-Mails aus Oslo, um letzte Fragen zu beantworten, Matthias Brandt sendet eine SMS: »Habe bis 6 Uhr morgens gedreht und verfüge demzufolge noch über exakt drei Gehirnzellen. Besser morgen, Mittag, früher Nachmittag wäre gut (aus bekanntem Grund bitte vor 15. 30 Uhr). herzlich, mb«, und mit Peter Brandt bin ich für den frühen Abend zum Telefonieren verabredet.
    Trotz dieser enormen Unterstützung ist dieses Buch keine autorisierte Biographie, denn nicht alles, was ich schreibe, wird von den Brandts genauso gesehen, nicht alles, was ich hervorgezogen habe, hätten sie hervorgeholt, nicht alles, was ich für bedeutsam halte, wird von ihnen dafür gehalten. Aber vielleicht würden sie mir zustimmen, wenn ich vermute, dass die Familie Brandt eine starke Familie gewesen sein muss, sonst hätte sie nicht so starke Individuen entlassen. Zerbrochen ist keiner von ihnen an einer Lebenssituation, die gewiss manches Senkblei mit sich gebracht hat, manche Brandwunde. Sie sind »sensible Wege« gegangen, weil es ihnen früh oblag, sich zurechtzufinden in den verschiedenen Familienbildern und Schichten. Wo begann die inszenierte Familie, wo endete sie? Sind Freunde Freunde und Feinde Feinde? Was will dieser Mensch wirklich von Dir? Meint er dich oder meint er ihn, den großen Mann?
    Wie hat es angefangen mit dieser Familie? Rut und Willy Brandt waren zwei sehr unterschiedliche Menschen, die sich vielleicht wegen ihrer Widersprüche lange gut ergänzten. Ohne Rut Brandt hätte ihr Mann in Berlin nicht Karriere gemacht, und ohne seine Berliner Karriere wäre er nicht Bundeskanzler geworden. Er war aus eigener Kraft ein bedeutender Politiker, aber sie kurierte schon in Berlin so manches seelische Leid, indem sie blieb, nicht von seiner Seite wich, indem sie vermittelte, im Freundes- und Bekanntenkreis Hilfe einforderte, wenn ihr »Willy« diese benötigte. Als er die aufgebrachten Berliner 1956 nach dem niedergeschlagenen Ungarn-Aufstand beruhigte, stand sie an seiner Seite, ja, sie tauchte in die Menge ein, um selbst zu beruhigen und zu besänftigen. Durch die Medien wurde sie Teil der inszenierten Familie, sie wurde ein Attraktionsmoment, und sie half, kollektive Ressentiments zu überwinden. Eine Beziehung wie diese, die bereits am Anfang so viele Zweifel und Selbstzweifel niederzukämpfen hatte, die mit so viel Gewissens-Gepäck gestartet war, muss von einem großen, tiefen Gefühl des Zusammengehörens begründet worden sein, sonst wäre es nicht gelungen, überhaupt zueinander zu finden und sich für einen gemeinsamen Weg zu entscheiden. Dass ihr Glück zunächst Unglück für andere bedeutete, war ihnen nur zu bewusst. Sie wagten das »Dennoch« und gewannen, weil sie miteinander etwas lebten, was lohnt, erinnert zu werden: Eine reiche, fruchtbare, vielgestaltige Familie. Und angesichts der Belastungen und Verpflichtungen, die diese Familie zu bewältigen hatte, ist es erstaunlich, wie lange sie dem Auseinandergerissenwerden getrotzt hat.
    Brandt war kein rückwärtsgewandter Mann, der seine Maskulinität darauf gründete, die Frau auf ein traditionelles Rollenbild zu verpflichten. Die Eheleute versuchen vielmehr einen echten Empfindungsdialog, der von wechselseitiger Kritik lebte und dadurch vital war. Willy Brandts Gefährtinnen waren bis dahin starke, selbstbewusste Frauen wie Gertrud Meyer und Carlota Thorkildssen, die ihr eigenes Geld verdienten und nicht auf Brandt angewiesen waren. Er war es, der in hohem Maße von ihren pragmatischen und intellektuellen Fähigkeiten, ihren Erfahrungsschätzen und ihrer bergenden Kameradschaftlichkeit profitierte.
    Rut Brandt war ebenfalls eine selbstbewusste Frau, die auch früh selbst gearbeitet und politisch etwas gewagt und die ihre Familie stets als solidarischen Zusammenhalt erlebt hatte. Sie war in einem Fünf-Frauen-Haus groß geworden und hatte somit erlebt, dass es auch ohne geldheimbringende Machtgestalt geht. Wenn sie sich nun an Brandts Seite auf ihre Rolle als Mutter und Hausrau beschränkte, bedeutete das nicht, dass sie sich selbst aufgab, denn je höher ihr Mann stieg, desto schwieriger wurde das Leben an seiner Seite. Nicht nur weil ihr die Organisation des Haushalts
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