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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Autoren: Torsten Körner
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sagte sie schließlich doch zu: »Sie nahmen die Politik furchtbar ernst. Wir waren ausgelassener und begeisterten uns für so vieles. Zuerst wurde ein Vortrag gehalten, und es wurde ernsthaft diskutiert von ernsthaften jungen Männern. Später standen wir im Kreis, nahmen uns an den Händen und sangen ›Avanti Popolo‹. Getanzt wurde natürlich nicht. Dafür hatten sie es zu eilig, die Weltrevolution vorzubereiten.« Der Spott in dieser Passage ist unüberhörbar, und er hätte wohl auch Willy Brandt gegolten. Man kann ihn sich leicht als einen dieser Intellektuellen vorstellen, denn schließlich hatte er sich durch seine bürgerliche Schulbildung und durch seinen politischen Lektüreeifer schon ein Stück von diesem entspannteren, bodenständigeren Sozialismus entfernt. Er nahm die Politik furchtbar ernst, musste sie ernst nehmen, denn sonst hätte er selbst sich nicht ernst genommen.
    Eine weitere »Parallelaktion« im Leben von Rut und Willy Brandt ist zu besichtigen, die wiederum völlig andere Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung zeitigt. Während Willy 1933 vor den Nazis aus Deutschland flieht, flieht Rut mit ihrer Schwester Tulla 1942 vor den Häschern der Gestapo nach Schweden. Herbert Frahm verwandelt sich in den Jahren im Exil zu Willy Brandt, er lässt das Kind, das er war, zurück, spaltet es ab. Rut hingegen bleibt auch in der Fremde bei sich, weil es keinen Grund gibt, den alten Namen abzulegen. Willy Brandt schafft und erlebt seinen neuen Namen, Rut Hansen spürt weder Antrieb noch Zwang, den alten Namen abzulegen. Rut kann ihrer Heimat ungebrochen treu bleiben, während Willy Brandts Verhältnis zum eigenen Land voller Brüche ist. Zwischen dem Entzug seiner deutschen Staatsangehörigkeit im September 1938 durch den nationalsozialistischen Staat und der Schmähung durch Konrad Adenauer (»Herr Brandt alias Frahm«) im Wahlkampf 1961 gibt es einen Zusammenhang, auf den ich später zurückkommen werde.
    Im Rückblick auf die Kindheit und Jugend von Rut Brandt und im Vorausblick auf die Ehe mit Willy Brandt kann man einige Kindheitsmuster festhalten, die prägend gewesen sind: Rut Hansen entwickelt und bewahrt sich von frühester Kindheit an einen lebendigen Familiensinn. Zu ihrem Selbsterhalt gehört früh die innere und äußere Reinlichkeit, um jeden Anschein von Armut und Bedürftigkeit abzuwehren. Sie erbt von der Mutter das Überlebensprinzip: Optimismus ist Frauen- und Lebenspflicht. Wo der Mann fehlt, muss die Frau ihn ersetzen. Das Ideal- und Idyllenbild dieses Lebens ist das geordnete und gesellige Haus. Wo alles seinen Platz hat, findet auch der Mensch seinen Platz. Auch die Natur bietet ein Obdach, das den Menschen bergen kann. Für Rut hat die Familie Vorrang. Politik ist ein familiär-freundschaftlicher Raum, der nicht durch Machtkämpfe oder rivalisierende Verhältnisse bestimmt ist. Der politische Raum ist kein Selbstfindungs- oder Selbstbegründungsraum, kein Raum, mit dem man Defizite der Persönlichkeitsentwicklung kompensiert. Ihr Verhältnis zum Vater- und Mutterland bleibt ungebrochen. Bisweilen muss man vor den Deutschen fliehen, um sie zu überleben. Und: Die Weltrevolution kann warten, wenn ein Tanz lockt.
    Und Rut ist eine Tänzerin.

Sich trauen
    Am 4. September 1948 heiratet Rut, geborene Hansen, verwitwete Bergaust, einen Mann namens Willy Brandt, der laut Reisepass immer noch Herbert Frahm heißt, weshalb die hochschwangere Braut nunmehr offiziell den Namen Rut Frahm trägt, während ihr Mann von allen nur Willy Brandt genannt wird. Wir sind in Berlin. Erst ein Jahr später, im August 1949, darf sich Rut Frahm offiziell Rut Brandt nennen, denn nun hat der Berliner Polizeipräsident die Namensänderung ihres Mannes anerkannt und legitimiert. Die vier Namen, zwischen denen Rut Brandt in diesem Augenblick lebt, die vier Namen, die ihre Identität bezeichnen, sie aber auch verwischen, die vier Namen, die ihren Weg bis zu diesem Zeitpunkt beschreiben, machen deutlich, dass die Ehe mit dem eben erst geschiedenen Willy Brandt kein himmelhochjauchzender Jubelbund ist, sondern von Anfang an eine komplizierte und sorgenreiche Lebensgemeinschaft, die gegen äußere und innere Anfechtungen verteidigt werden muss.

    Als Willy Brandt 1933 ins norwegische Exil flüchtet, folgt ihm alsbald wie versprochen seine Lübecker Freundin Gertrud Meyer, die von den meisten Brandt-Biographien immer als Randfigur behandelt wurde, ohne dass ihre Rolle an seiner Seite hinreichend gewürdigt
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