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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Autoren: Torsten Körner
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und Presswurst, Käse und Marmelade auf selbstgebackenem Brot, wenn die Messingstange auf dem Herd frisch geputzt mit dem Kupferkessel um die Wette blitzte und das Schmuckhandtuch mit der Kreuzstichstickerei gewaschen und gesteift an der Wand hing: Mein Heim ist meine Burg – ja, dann wussten wir, dass man es nicht besser haben konnte.« Das ist ein Sonntagsbild, das vom werktäglichen Mangel spricht, aber auch vom Binnenraum Familie, der für vieles entschädigt, was das Leben vorenthalten mag. Das kleine, geordnete Haus ist ein Erinnerungsstück, das lebenslänglich hält und noch im Rückblick Wärme spendet. Die machtvolle Mutter, die nicht einmal einen Namen braucht, um für immer Mutter zu sein, die Schwestern, die das Leben Zusammenhalt lehrt und die von dieser Lektion nie lassen werden.

Vier Schwestern, ein Leben lang eng verbunden: Olaug, Hjördis, Rut und Martha, genannt Tulla
[Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung]
    Der Zusammenhalt der Schwestern wird, sofern das überhaupt möglich ist, noch enger, als die Mutter mit gerade einmal 40 Jahren 1931 einen Schlaganfall erleidet und wochenlang gelähmt ist. Die sonst so besonnene Hjördis sagt verzweifelt: »Wenn unsere Mutter stirbt, nehme ich mir das Leben.« Die Schwestern wachen abwechselnd am Krankenlager, erst Monate später wird die Mutter gesund und kann wieder ihre Arbeit in der Molkerei aufnehmen. Rut ist eine gute Schülerin, doch da es an Geld fehlt, bleibt ihr der Besuch einer weiterführenden Schule verwehrt. »Meine einzige systematische Ausbildung« erzählte sie der Journalistin Heli Ihlefeld, »waren die sieben Volksschuljahre. Erst später, als ich mehr Geld verdiente, nahm ich Privatstunden, kaufte mir Bücher auf Abzahlung und lernte im Studienzirkel der Sozialistischen Jugend.« Ihre Mutter bleibt nach dem Schlaganfall eine kränkliche Frau, die Sorge, sie früh zu verlieren, legt sich wie ein drohender Schatten über das Leben der Schwestern. Manghild Hansen stirbt 1955 im Alter von 65 Jahren.

    So wie Rut und Willy Brandt vollkommen unterschiedlich damit umgehen, dass sie beide ohne Vater aufwachsen – sie macht eine Märchenfigur, er macht eine Unperson aus dem fehlenden Vater –, so unterschiedlich gestaltet sich in ihrer Jugend das Verhältnis zur Politik. Zwar betonen beide in ihren Erinnerungsbüchern, dass sie »geborene Sozialisten« sind, dass sie in den Sozialismus und seine Tradition hineingeboren werden, doch dieses Hineingeboren werden vollzieht sich sehr unterschiedlich und hat andere Konsequenzen. Während Willy Brandt, »kaum dass er laufen kann«, in verschiedenen Bildungs- und Beschäftigungsgruppen der Arbeiterbewegung sozialisiert wird, auch weil ihm die Familie fehlt, geht Rut diesen Schritt erst als Jugendliche mit 15, 16 Jahren. Er wird in der großen roten Familie abgegeben, auch weil die Not das diktiert, Rut geht freiwillig, weil es ihr Freude bereitet, an den zahlreichen Aktivitäten teilzunehmen. Während Willy Brandt in die Gesinnungsfamilie hineinwächst, von dieser adoptiert wird und ihr schließlich bald den Vorrang vor seiner Herkunftsfamilie gibt, bleibt Rut ihrer Herkunftsfamilie treu. Bei ihr wird das familiäre Prinzip auf die Politik übertragen, die ein familiär-freundschaftlicher Raum ist, kein Raum, um sich selbst zu profilieren, kein Raum, um sich selbst darzustellen, um sich selbst überhaupt erst zu finden. Herbert Frahm findet erst im politischen Milieu zu Willy Brandt, er begründet sein Selbst erst hier richtig, der politische Raum liefert ihm die Identitätsbausteine, die das ungefestigte Selbst braucht, um seine Ich-Identität befriedigend zu begründen. Rut hingegen bringt ein gesichertes Selbst in den politischen Raum ein und findet in ihm nichts, was sie reizen könnte, sich umzubauen. Rut hat ein unernstes, ein egalitäres Verhältnis zur Politik, für sie gehört zur Politik auch das gemeinsame Wandern, Singen, Jungsein, Radfahren, Kaffee, Kuchen, Tanz. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist, wie sie in ihren Erinnerungen einige bürgerliche Intellektuelle beschreibt, die aus ihrem Milieu ausgebrochen sind und nun die Nähe zu den Proletariern suchen (denen Rut sich zurechnet), um sie aufzuklären, um ihnen die Heiligen der Theorie nahezubringen. Rut erzählt, wie die »Intellektuellen« sie und ihre Schwester Tulla zu einer 1. Mai-Feier 1939 auf eine Hütte einluden. Zunächst hatte Rut Bedenken, aber weil einer der Jungen sie »interessierte«,
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