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Die falsche Geliebte (German Edition)

Die falsche Geliebte (German Edition)

Titel: Die falsche Geliebte (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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getreten und nun verwelkt und verbraucht ist! Sechs Monate Landaufenthalt vermögen die Wunden des Winters kaum zu heilen. Man hört heute nur von Magenkrankheiten, von seltsamen Leiden, die übrigens den Frauen, die sich um ihren Haushalt kümmern, unbekannt sind. Früher zeigte sich die Dame hin und wieder, heute ist sie stets in Szene. Clementine hatte zu kämpfen. Man begann ihren Namen zu nennen, und in den Sorgen, die dieser Kampf zwischen ihr und ihren Nebenbuhlerinnen erweckte, hatte sie kaum Zeit, ihren Mann zu lieben. Thaddäus konnte wohl vergessen werden. Und doch! Einen Monat später, im Mai, wenige Tage vor der Abreise nach dem Gut Ronquerolles in Burgund, als sie vom Bois zurückkehrte, erblickte sie in der Seitenallee der Champs Elysées Thaddäus, sorgfältig gekleidet und voller Begeisterung, als er seine schöne Gräfin in ihrer Kalesche mit den flinken Pferden, den funkelnden Livreen, kurz, sein teures, bewundertes Paar erblickte.
    »Sieh da, der Kapitän!« sagte sie zu ihrem Gatten.
    »Wie er strahlt!« sagte Adam. »Das sind seine Feste. Keine Equipage ist besser gehalten als die unsre, und er genießt es, daß alle Welt uns unser Glück neidet. Ach, du bemerkst ihn zum erstenmal, und er steht fast täglich dort.«
    »Woran mag er denken?« fragte Clementine.
    »Er denkt in diesem Augenblick, daß der Winter sehr teuer war und daß wir bei deinem alten Onkel Ronquerolles sparen werden,« entgegnete Adam.
    Die Gräfin befahl, bei Paz anzuhalten, und lud ihn neben sich in ihre Kalesche ein. Thaddäus wurde kirschrot.
    »Ich werde Sie verpesten,« sagte er, »ich habe Zigarren geraucht.«
    »Verpestet Adam mich nicht?« fragte sie lebhaft.
    »Ja, aber es ist doch Adam!« erwiderte der Kapitän.
    »Und warum soll Thaddäus nicht das gleiche Vorrecht genießen?« lächelte die Gräfin.
    Dies göttliche Lächeln besaß solche Macht, daß es Pazens heroischen Entschluß besiegte. Er blickte Clementine mit der ganzen Glut seiner Seele an, aber diese Glut wurde gedämpft durch den himmlischen Ausdruck der Dankbarkeit, die das Leben dieses Mannes erfüllte. Die Gräfin kreuzte ihre Arme unter ihrem Schal, lehnte sich sinnend in die Kissen, so daß sie die Federn ihres hübschen Hutes drückte, und blickte auf die Vorübergehenden. Dieser Blitz einer großen und bisher entsagenden Seele reizte ihr Feingefühl. Welche Vorzüge besaß Adam schließlich in ihren Augen ? Mutig und hochherzig zu sein, war doch nur natürlich! Aber der Kapitän!... Thaddäus war Adam unendlich überlegen oder schien es doch zu sein. Verhängnisvolle Gedanken ergriffen die Gräfin, als sie von neuem den Unterschied zwischen der schönen Vollnatur des Thaddäus und der dürftigen Natur Adams bemerkte, einem Zeichen für die notgedrungene Entartung alter Adelsgeschlechter, die so töricht sind, stets untereinander zu heiraten. Diese Gedanken erfuhr nur der Teufel, denn die junge Frau blieb bis zum Hause stumm und träumte unbestimmt vor sich hin.
    »Sie essen mit uns, sonst bin ich böse, daß Sie mir ungehorsam waren,« sagte sie beim Eintreten. »Sie sind für mich Thaddäus, so gut wie für Adam. Ich weiß, welchen Dank Sie ihm schulden, aber ich weiß auch, was wir Ihnen alles zu danken haben. Für zwei ganz natürliche hochherzige Handlungen sind Sie täglich und stündlich hochherzig. Mein Vater kommt zum Essen zu uns, ebenso mein Onkel Ronquerolles und meine Tante Sérizy. Ziehen Sie sich an,« sagte sie und ergriff seine Hand, die er ihr entgegenstreckte, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.
    Thaddäus ging hinauf, um sich anzukleiden. Sein Herz frohlockte und krampfte sich doch zugleich in furchtbarem Zittern zusammen. Er kam so spät wie möglich herunter und spielte während der Mahlzeit wieder seine militärische Rolle, die nur für einen Haushofmeister paßte. Aber diesmal ließ Clementine sich durch Paz nicht irreführen; sie wußte seit jenem Blicke Bescheid. Ronquerolles, der geschickteste Botschafter nächst dem Fürsten Talleyrand und jetzt eine Hauptstütze de Marsays während seines kurzen Ministeriums, erfuhr von seiner Nichte die ganze Bedeutung von Paz, der sich so bescheiden als bloßen Verwalter seines Freundes Mizislas hinstellte.
    »Wie kommt es, daß ich den Grafen Paz zum erstenmal sehe?« fragte der Marquis von Ronquerolles.
    »Ei, er ist verschlossen und menschenscheu,« versetzte Clementine und warf Paz einen Blick zu, damit er sein Benehmen ändre.

Wir müssen es gestehen, auf die Gefahr
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