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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau
Autoren: Katrin Mackowski
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ein zerschundenes Reclamheftchen aus seiner Jackentasche.
    Arthur Rimbaud. Farbstiche.
    Damals war er der Einzige, der in der Legion Rimbaud gelesen hatte, wahrscheinlich war er der Einzige, der überhaupt las, aber er hatte sich immer dafür geschämt. Jetzt, bei seiner Ankunft in Wien, war das anders. Rimbaud war willkommen. Erst als er das Ende der Spiegelgasse witterte und der Wagen langsamer wurde, blickte François von seiner Lektüre auf, öffnete seine Brieftasche und zahlte.
     
    Im Café de l’Europe war es warm, es roch nach frisch gemahlenem Kaffee. Die Espressomaschine ratterte, ein angenehmer Nervenkitzel, der sich noch steigerte, als François eine junge Frau sah, die an einem Strohhalm sog und ihn frech anpeilte.
    François murmelte ein höfliches Bonjour und flüchtete in den ersten Stock des Lokals. Noch im Gehen bestellte er eine Melange. Erinnerungen kamen zurück. François malte sich aus, die Frau unten wäre Claire. Wie sie lief, wie sie redete und ihn zwischendurch küsste.
    Vielleicht war sie längst tot?
     
    Sie hatten in Paris-Nanterre gelebt, einer Betonwüste am Rande der Stadt. Eines Tages war Claire ohne ein Wort verschwunden.
    Eine Nachbarin wollte die Sportlehrerin Claire, blond, groß und schlank, zuletzt am 15. September im Quartier Corbusier gesehen haben. Seither fehlte jede Spur.
    Viele Frauen aus der Gegend von Nanterre, mehr als ein Dutzend in den letzten fünf Jahren, galten in den letzten Monaten als vermisst. Einige wurden als Ausreißerinnen abgetan, vor allem ganz junge Mädchen, die eines Abends von einer Freundin weggingen oder von einer Party und dann nie wieder gesehen worden waren. Solche Fälle hatte man aus verschiedenen Gründen ad acta gelegt.
    Bei Claire war das anders.
    Nie im Leben hätte sie ihn verlassen. Sie war schwanger und wollte ihn heiraten. Streit, kleinere Auseinandersetzungen, die gab es schon, aber nichts hatte darauf hingedeutet, dass sie ihre Pläne ändern und das Kind allein großziehen wollte. François fand, dass die Polizei Details seiner Beziehung nichts angingen. Er hielt es auch für unnötig zu erwähnen, dass Claire und er sich im Streit getrennt hatten. Wozu sollte er einem Polizisten erklären, dass ihm Frauen wie Claire zugleich etwas bedeuteten und dann auch wieder nicht. Dass er sie nicht heiraten, sondern lieber wieder aus der Ferne betrachten wollte, wie früher, als er sie zum ersten Mal über einen Parkplatz laufen sah, die Haare zu einem Pferdeschwanz im Nacken zusammengebunden, der mit jedem Schritt auf und ab wippte.
    Wenige Monate aber, nachdem sie zusammengezogen waren, hatte sich Claire verändert. Wenn François nach Hause kam, fand er sie apathisch vor dem Fernseher. Ihre Sportstunden hielt sie nur noch aus Pflicht ab. Das einzige, was sie noch interessierte, war François. Wo er hinging, mit wem er redete, wann er wiederkommen würde und was sie einkaufen sollte für die abendlichen Essen, für seine Kochkünste, mit der er ihre Eifersucht zwar besänftigen, aber nicht besiegen konnte.
    François zog eine Papierserviette aus der Hosentasche, tunkte sie in das Wasserglas, das er zur Melange bekommen hatte und tupfte sich damit die Stirn.
    Wie sollte er sie hier vergessen? Claire, die zum Frühstück frische Croissants brachte, keine geschmacklosen und mickrigen Dinger wie die, die wenig später auf seinem Teller landeten. Claire, von der er jetzt nichts anderes bei sich trug als ein kleines Zeichen.
    CS stand mit Lippenstift auf der Serviette und war durchgestrichen. Es sollte wohl Claire Satek heißen, dachte er. Das war das Ende.

2
    A LS F RANÇOIS DURCH DIE K ÄRNTNER S TRASSE LIEF , hatte es zu schneien begonnen. Der Wind trieb ihm dicke Flocken in die Augen. Obwohl er langsam ging, musste er stehen bleiben und häufig nach Luft schnappen.
    Mit jedem Schritt weiter wollte er sein zerbrechliches Bewusstsein treten, die Tatsache, das, was geschehen war, nicht besser fassen zu können.
    Rimbaud kam wieder.
    Genug gefahren. Gesichte hatte ich überall.
    Rimbaud, den ihm zum Abschied eine fremde Frau unters Kopfkissen gelegt hatte. Zweisprachig, links französisch, rechts deutsch.
     
    Krieg war das, alles Krieg.
    Diese Abschiede, sein Vater, die Sache mit Claire. Die Drinks, die er früher in irgendwelchen Bars genommen hatte, die Frauen, die ihm zufielen, die Schlaflosigkeit, die Aufgewühltheit, alles.
    Sein Körper hatte nach Ruhe gebettelt, damals in Paris, nach der weichen Haut einer Frau, nach Claire, ihrem
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