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Die ewige Bibliothek

Die ewige Bibliothek

Titel: Die ewige Bibliothek
Autoren: James A. Owen
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lag. Er war schlicht an Professor Michael Langbein adressiert, ohne weitere Beschriftung oder Absender.
    Michael stellte seine Aktentasche direkt neben der offenen Tür ab, steckte seinen Schlüssel ein und nahm den Umschlag in die Hand. Er drehte ihn um, schob einen Fingernagel unter die Klappe und riss ihn entlang der Kante auf.
    Zum Vorschein kam eine einfache, einmal gefaltete Briefkarte, die aus dem gleichen Papier bestand wie der Umschlag. Er öffnete sie und las folgende kurze Nachricht:
     
    Professor Langbein -
    Eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit – im akademischen wie im historischen Sinne – würde von Ihrem fachlichen Rat außerordentlich profitieren. Wenn Sie die Freundlichkeit besäßen, meine Vorstellung am heutigen Abend zu besuchen (Eintrittskarte liegt bei), werde ich Ihnen im Anschluss die betreffende Situation erläutern, woraufhin sie sich nach Belieben wieder verabschieden können.
     
    Die Nachricht war mit einem nicht zu entziffernden Kringel unterzeichnet, und Michael konnte weder auf der Briefkarte, noch auf dem Umschlag etwas Besonderes feststellen. Er kicherte, warf beides beiseite, und sah sich die Eintrittskarte an. Es handelte sich um eine gewöhnliche orangene Behelfskarte, wie sie in Fünfhunderterrollen verkauft und bei Wohltätigkeitsveranstaltungen zur Verlosung von Gegenständen verteilt wurden, für die normalerweise kein Mensch Geld ausgeben würde. Auf die Rückseite waren die Worte »Rutland & Burlington’s -Montag, 20:30 Uhr« gekritzelt.
    Er kannte den Laden – ein Nachtclub nur ein paar Straßen entfernt, der sich unter Studenten großer Beliebtheit erfreute. Wie dem auch sei, er musste sich um weit wichtigere Angelegenheiten kümmern. Es blieb ihm kaum Zeit, einer geheimnisvollen Einladung zu folgen, die aller Wahrscheinlichkeit nach ein Verkaufstrick war, mit dem man ihm eine Ferienreise in die Schweiz andrehen wollte.
    Unter dem pflaumenfarbenen Umschlag auf seinem Schreibtisch lag ein dünner Brief auf sehr teurem Papier, der das Universitätssiegel und die Büroadresse des Rektors trug.
    Michael ließ sich in den ramponierten, mit Kissen überladenen Sessel fallen, der dem Fenster gegenüber stand. Mit einem Seufzer drehte er den dünnen Brief hin und her. Dünne Briefe von Universitäten enthielten nie gute Neuigkeiten. War man ein Student, der sich bewarb, so hoffte man auf ein dickes Zulassungspaket. Ein dünner Brief dagegen begann immer mit den Worten: »Wir danken Ihnen für Ihre Bewerbung, aber… «, gefolgt von einer Reihe zuckersüßer Lügen, die den Bewerber zu dem Glauben verleiten sollten, eine andere Universität werde ihn sicher zu schätzen wissen – ungeachtet der Tatsache, dass einem wenige Zeilen zuvor mitgeteilt worden war, man sei Kaugummi an den Sohlen ihrer Schuhe. Ein dünner Brief an einen Fakultätsmitarbeiter ließ normalerweise nur auf eine von zwei Möglichkeiten schließen: eine Gehaltsabrechnung – unmöglich, denn Zahltag war bereits letzten Donnerstag gewesen – oder eine schlechte Nachricht, die ihm niemand persönlich mitteilen wollte, die andererseits jedoch zu unbedeutend war, um sie von einem Ausschuss auf mittlerer Ebene bearbeiten zu lassen.
    Michael kratzte sich einen Augenblick lang mit dem Umschlag an der Nase, riss ihn dann an einer Seite auf und faltete den Brief auseinander.
     
    Sehr geehrter Professor Langbein,
    da wir Ihre Beiträge zum Lehrplan der Universität außerordentlich zu schätzen wissen, bedauern wir sehr, Ihnen mitteilen zu müssen…
     
    Der Rest des Briefes lieferte nähere Angaben hinsichtlich einer Konferenz mit dem Rektor, zwei Vizerektoren, dem Verwaltungsleiter und drei Fakultätsmitarbeitern der Senatsvertretung des Fachbereichs, während deren er die weitere Finanzierung seines Institus rechtfertigen sollte. Michael musste zweimal hinschauen – tatsächlich, er sollte sich nicht nur für seine eigene Stelle einsetzen, sondern für die Zukunft des ganzen beschissenen Instituts.
    Verdammt, dachte Michael. Ich hätte auf meine Mutter hören und Buchhalter werden sollen.
     

     
    Michael Langbein war hochgewachsen – fast konnte man ihn schlaksig nennen, ohne dass es wie eine Beleidigung geklungen hätte. Und er war so muskulös, dass ihm niemand ins Gesicht gesagt hätte, er sei schlaksig, ganz gleich wie er es aufnehmen mochte. Er hatte ein sympathisches, glatt rasiertes Gesicht, einen dichten Schopf lockiger brauner Haare und er liebte es, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein.
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