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Die Eule von Askir

Die Eule von Askir

Titel: Die Eule von Askir
Autoren: Richard Schwartz
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eine Idee… Sie hatte von diesen Kristallen schon in alten Texten gelesen, wo nur hatte es gestanden? Sie spürte, dass sie nahe daran war, das Rätsel zu lüften…
    Die Glocke läutete neben ihrem Ohr und ließ sie zusammenzucken.
    Seit zwölf Jahren studierte sie die Magie der Eulen, manches verstand sie mittlerweile, das meiste blieb ihr noch immer verborgen, darunter eine besondere Eigenart des Turms. Wenn jemand unten neben dem Eingang an der Glockenstange zog, läutete die Glocke genau dort, wo sie sich gerade in diesem Moment befand!
    Sechsunddreißig Zimmer hatte sie zur Auswahl, unzählige Räume und Gänge, aber egal, wo sie sich aufhielt, und war es auch in den tiefsten Katakomben des Turms, immer läutete diese Glocke nur einen Schritt von ihrem Ohr entfernt.
    Vor knapp drei Jahren hatte sie ihr jetziges Zimmer für sich auserkoren, es war das größte von allen und besaß sogar ein eigenes, sich magisch erhitzendes Bad. Es hatte dem letzten Primus der Eulen gehört, und insgeheim hatte sie sich erhofft, dass wenigstens diese Räume vor der Glocke verschont blieben, aber nein, sie läutete auch dort. Es war dieser Klang, der sie jetzt aus ihren Gedanken riss, ein hell tönender Glockenschlag, der ihre Gedanken mit einem hellen Ton zerfaserte und zugleich das kleine Licht verlöschen ließ.
    Schwer ließ sie ihren Kopf auf das dicke Buch vor sich fallen und seufzte. So nahe war sie der Lösung noch nie gewesen! Und wieder, wie schon so oft zuvor, nahm sie sich vor, als Nächstes herauszufinden, wie die Glocke wirkte und, vor allem, wie sie sie endlich zum Schweigen bringen konnte.
    Wenn sie bei der Arbeit war, verlor sie oft jedes Gefühl für die Zeit. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr finsterste Nacht und eine ferne Laterne irgendwo auf den Zinnen der Zitadelle. Es war wohl schon spät. Also war zu vermuten, dass es wichtig sein musste. Jeder wusste, dass man die Maestra nicht leichtfertig stören sollte.
    Mittlerweile erhielt sie nicht mehr oft Besuch. Die meisten ihrer Lehrmeister wussten, dass sie ihr nicht mehr helfen konnten, sie hatte gelernt, was sie ihr beibringen konnten, den Rest des Wegs musste sie allein gehen.
    Es war Stabsobrist Orikes, den sie am häufigsten sah, mindestens einmal die Woche erstattete sie ihm persönlich Bericht. Wenn sie etwas von Interesse herausfand oder einen Auftrag erledigt hatte, war es mittlerweile sie selbst, die ein Treffen mit den Handwerksmeistern einberief, um es ihnen darzulegen.
    Also hatte sie meist ihre Ruhe.
    Aber jetzt war sie eine Eule, trug die Robe und damit auch die Verpflichtungen des Eids. Desina hatte trotzdem gehofft, dass sie nur selten aus ihren Studien gerissen würde.
    Sie eilte nach unten. Für sie existierte die massive Eingangstür nicht, die ihr von anderen beschrieben wurde. Sie konnte einen Blick auf ihren Besucher werfen und herausfinden, wer der Störenfried war, ohne dass dieser sie überhaupt wahrnahm. Er sah nur eine abweisende Tür.
    Es war ein Läufer der Federn, der ein Schreibbrett in den Händen hielt und unsicher den Blick gesenkt hatte. Sie zog die Kapuze ihrer blauen Robe tief ins Gesicht, bis nur noch Mund und Kinn zu sehen waren, und trat hinaus.
    »Nachricht vom Obristen der Federn«, teilte ihr der Läufer mit und salutierte. Sie nahm das Brett entgegen und löste das Leder. Sie brauchte nicht lange, um zu lesen, was dort stand. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie verstand, was diese Nachricht bedeutete. Eine arme Seele hatte dort unten am Hafen ihr Schicksal ereilt, das war gewiss nichts Schönes, aber für sie bedeutete es ebenso, dass Stabsobrist Orikes sie endlich beim Wort nahm.
    Jetzt erst war sie wahrlich eine Maestra des Turms!
    »Danke, Korporal«, sagte sie und eilte nach oben, um ihr Schwert zu holen, das sie neben dem Bett vergessen hatte.

 
    4
     
     
     
    Santer lehnte mit dem Rücken an einem großen Holzstapel und gähnte. Es gab nichts, was ihn müder machte, als zu warten. Zudem war es eher noch kälter geworden, und er wünschte sich, dass diese Nacht bald ein Ende finden würde. Zwischenzeitlich hatten sie Gesellschaft bekommen von jemandem, der weitaus geduldiger war als Santer.
    Etwas weiter entfernt saß ein alter Mann auf dem Kutschbock eines Eselkarrens, gegen die Kälte in einen schweren wollenen Umhang gehüllt. Er rauchte seine Pfeife, und mit dem breitkrempigen Hut, den er tief ins Gesicht gezogen hatte, wirkte er nicht weniger stoisch als sein Esel. Es war der Leichenputzer,
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