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Die Eule von Askir

Die Eule von Askir

Titel: Die Eule von Askir
Autoren: Richard Schwartz
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scheue mich fast, es laut zu sagen«, flüsterte sie. »Aber es war ein Seelenreiter. Der Mann kam allein hierher. Niemand sonst war bei ihm, und er kämpfte mit sich selbst. Er hatte einen Dolch. Er hat sich selbst die Kehle durchgeschnitten. Und während er starb, brach er sich das Genick und drehte sich den eigenen Kopf nach hinten.«
    »Aber…«, sagte Santer fassungslos. »Wie ist das möglich?«
    »Es ist leider so. Wie das möglich ist«, sie sah den großen Stabsleutnant an und zuckte mit den Schultern, »weiß ich auch nicht.« Sie wies mit der linken Hand auf einen Stapel Kisten, der ein paar Schritte entfernt stand, derselbe Stapel, an den sich Santer eben noch gelehnt hatte. »Der Dolch ist dorthin gerutscht. Dort unter dieser Kiste muss er liegen.«
    Santer gab Fefre, der die einzig verbliebene Fackel hielt, ein Zeichen. Der Korporal bückte sich vor den Kisten, die auf alten Holzbalken standen, damit man ein schweres Tau um sie knoten konnte, griff darunter und zog mit spitzen Fingern einen schweren Dolch hervor.
    »Sie hat recht!«, rief Fefre erstaunt und hielt den Dolch hoch, damit ihn alle sehen konnten. »Das ist ein guter Dolch, niemand würde ihn wegwerfen.« Er schaute zu dem Toten. »Es sei denn, er hätte wahrlich keine Verwendung mehr dafür.«
    »Er wurde geritten«, teilte ihm die Maestra mit sanfter Stimme mit und nahm den Dolch an sich. Sie betrachtete ihn sorgfältig, bevor sie ihn dann unter ihrer Robe verschwinden ließ. »Aber das konntet Ihr ja nicht wissen, Stabsleutnant«, meinte sie. »Warum habt Ihr mich rufen lassen?«
    »Weil es noch mehr gibt«, erklärte Santer und hielt ihr die offene Handfläche entgegen. »Dies fanden wir bei dem Toten, die Kette um den Hals, die Münze in seinem Beutel. Einem Beutel, der zwanzig frisch geprägte Goldmünzen enthielt.«
    Auf seiner Handfläche lag eine feingliedrige Silberkette mit einem Anhänger daran, kaum größer als der Fingernagel des Leutnants: eine stilisierte Flamme aus getriebenem Silber. Desina zog scharf die Luft ein, als sie dieses Symbol erkannte. Es war das Zeichen eines Kults, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, jeden der heiligen reinigenden Flamme Borons zuzuführen, der auch nur im Verdacht stand, ein magisches Talent zu besitzen.
    Die heilige Flamme Borons verbrennt den Sünder und läutert den Unschuldigen, hieß es in den Tempelpredigten. Es stimmte wohl, denn Desina hatte selbst schon gesehen, wie Unschuldige unverletzt aus den Flammen hervorgetreten waren.
    Aber unter den Fanatikern des Kults der Weißen Flamme gab es keine Priester des Boron… und ihre Mordbrände konnte man kaum als heiliges Feuer bezeichnen. Der Kult war in allen Reichen seit Jahrhunderten verboten, aber dennoch war er stark, und immer wieder hörte man davon, dass jemand ihm zum Opfer fiel. Ob Mann, Frau oder Kind, keiner konnte vor dieser Flamme sicher sein.
    Neben dem Anhänger lag eine fein geprägte Münze, ebenfalls aus Silber und auf einer Seite das Wappen der Reichsstadt, der Drache, der eine Schlange niederdrückte, auf der anderen ein Adler im Flug. Das Wappen Aldanes, eines der sieben Reiche, die mit der Reichsstadt alliiert waren. Eine Passiermünze, wie sie an Bedienstete einer Botschaft ausgegeben wurde.
    »Wir fanden auch das hier bei dem Mann«, sagte Santer und reichte ihr ein Stück gefaltetes Pergament, dreckig und brüchig an den Kanten, als wäre es oft gefaltet worden. Das Siegelband war schon ausgefranst, das Siegel selbst brüchig und fast nicht mehr zu erkennen.
    »Sein Name ist Jenks«, teilte der Stabsleutnant ihr mit. »Dieses Papier weist ihn als den persönlichen Kammerdiener von Graf Altins aus, dem Botschafter von Aldane.«
    »Ein Kammerdiener, der sich mit einem Vermögen von zwanzig prägefrischen Goldmünzen hierher in den Hafen begibt?«, fragte die Maestra ungläubig. Sie musterte das Datum auf dem Ausweispapier. »Der Mann ist seit fast sieben Jahren hier«, stellte sie dann fest. »Er hätte es doch besser wissen müssen.«
    Dann ließ sie das Dokument sinken und sah ein weiteres Mal auf den toten Kammerdiener hinab. »Er trägt eine teure Livree, Seidenstrümpfe und Schuhe, sogar einen Ring am Finger. Und Ihr habt zwanzig Goldstücke bei ihm gefunden?«, fragte sie ungläubig. »Das muss ein Rekord sein, denn es ist wohl das erste Mal, dass eine Leiche länger als fünf Atemzüge im Hafenviertel liegt, ohne restlos ausgeplündert zu werden.«
    »So lange lag er nicht hier, bevor wir kamen«, teilte
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