Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Erscheinung

Titel: Die Erscheinung
Autoren: Danielle Steel
Vom Netzwerk:
Metropole auf der Welt vergleichen. Früher hatte er die Stadt geliebt. Hier war er Carole begegnet, hier hatte er seine ersten Erfolge als Architekt genossen. Trotzdem wollte er nicht mehr in diesem Häusermeer leben. Zu seinem Leidwesen hatte er keine Wahl. Am Nachmittag kaufte er die
New York Times,
las die Wohnungsannoncen und besichtigte zwei hässliche, teure, viel zu kleine Apartments. Doch seine jetzige Unterkunft war noch schlimmer. Daran wurde er sofort erinnert, als er um sechs in das trostlose Studio zurückkehrte. Nach wie vor vom Jetlag geplagt, konnte er sich nicht dazu aufraffen, essen zu gehen. Stattdessen studierte er ein paar schriftliche Unterlagen über aktuelle New Yorker Projekte, die ihm Whittaker & Jones geschickt hatte. Am nächsten Tag ging er trotz der Sonntagsruhe ins Büro.
    Das schäbige Studio lag nur viereinhalb Häuserblocks von seinem Ziel entfernt. Deshalb war es vermutlich gemietet worden. Man hatte ihm eine Hotelsuite angeboten. Aber er bevorzugte ein Apartment. Die schönen Räume von Whittaker & Jones lagen im vierzehnten Stock eines Gebäudes an der Ecke Fiftyfirst und Park. Eine Zeit lang blieb er im Empfangsbereich stehen und betrachtete die Aussicht, dann wanderte er langsam zwischen Modellen einstiger Bauprojekte umher. Sicher würde es interessant sein, wieder hier zu arbeiten. Alles erschien ihm verändert. Aber nichts bereitete ihn auf die Überraschung vor, die er am Montagmorgen erlebte.
    Gegen vier Uhr war er erwacht. Immer noch auf die Londoner Zeit eingestellt, sah er stundenlang Papiere durch, bevor er voller Ungeduld zur Arbeit ging. Im Büro angekommen, nahm er schon bald eine fast greifbare Spannung in der Luft wahr. Zwischen den Angestellten schien ein harter Konkurrenzkampf zu toben. Als er einen nach dem anderen ins Chefbüro bestellte, verriet ihm jeder kleine Geheimnisse über die Projekte der anderen. Offensichtlich herrschte kein Teamgeist in dieser Firma. Talentierte Individualisten taten ihr Bestes, um einander zu übertrumpfen. Was ihn jedoch am meisten verblüffte, war die Arbeit, die sie leisteten. Wenn sie sich auch die größte Mühe gaben, blieben die Entwürfe weit hinter den fortschrittlichen, originellen Ideen zurück, die denselben Konzern in Europa auszeichneten. Bei seinen kurzen Besuchen in New York während der letzten zehn Jahre war ihm das nie bewusst geworden, weil er sich auf seine Tätigkeit in London konzentriert hatte.
    Die beiden Seniorpartner, Bill Jones und Arthur Whittaker, führten den neuen Chef durch alle Büroräume, wobei ihm die Mitarbeiter zurückhaltend, aber auch erfreut begegneten. Wer ihn noch nicht kannte, hatte von seinen Erfolgen in Europa gehört. Mit zwei älteren Architekten hatte er vor zehn Jahren in New York zusammengearbeitet. Zu seiner Verwunderung schienen sie sich seither nicht weiterentwickelt zu haben und selbstzufrieden im selben Fahrwasser zu schwimmen wie damals. Das schockierte ihn. In wachsender Bestürzung wanderte er von einem Zeichentisch zum anderen. Und die Werkstudenten kamen ihm lahm und rückständig vor, genau wie ihre Ausbilder.
    »Was geht hier vor?«, fragte er beim Lunch mit zwei Mitarbeitern, so beiläufig wie möglich. Er hatte Sandwiches bestellt und die beiden in sein Büro eingeladen, einen großen Raum an einer Ecke des Gebäudes, mit spektakulärer Aussicht auf den East River. »Irgendwie habe ich das Gefühl, die Leute hier würden sich vor irgendwas fürchten, und die Entwürfe wirken erstaunlich konservativ. Wie lässt sich das erklären?« Schweigend wechselten sie einen kurzen Blick. »Kommt schon, Jungs, reden wir offen und ehrlich miteinander. Vor fünfzehn Jahren habe ich in dieser Firma viel interessantere Skizzen gesehen. Und jetzt scheint Whittaker & Jones die Zeit zurückzudrehen.« Statt zu antworten, runzelte der eine besorgt die Stirn. Der andere lachte gequält, war aber wenigstens tapfer genug, um Charlie die Informationen zu liefern, die er brauchte, wenn er das Büro effektiv leiten wollte.
    »Seit einiger Zeit werden wir an die Leine gelegt«, erklärte Ben Chow. »Das ist nicht Europa. Hier sitzen uns die hohen Tiere im Nacken, und wir spüren jeden Tag ihren Atem. Wie Sie sicher wissen, sind diese Typen ultrareaktionär und hassen Risiken. Nach ihrer Ansicht sind die alten Methoden die besten. Was in Europa passiert, kümmert sie nicht. In den Staaten soll alles so laufen wie eh und je. Deshalb sind wir berühmt, behaupten sie und halten Europa für einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher