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Die Erscheinung

Titel: Die Erscheinung
Autoren: Danielle Steel
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exzentrischen Außenposten, ein notwendiges, allerdings lukratives Übel.«
    Dieser Erkenntnis verdankte Charlie seine künstlerische Freiheit in den letzten zehn Jahren. Würde sich jetzt alles ändern?
    »Meinen Sie das ernst?«, fragte er verwirrt. Chow nickte, und sein Kollege biss sich nervös in die Lippen. Falls jemand dieses Gespräch belauschte, würden sie gewaltigen Ärger kriegen.
    »Aus diesem Grund bleiben die Werkstudenten nicht lange hier«, klagte Ben Chow. »Ein paar Wochen schauen sie sich das alles an, dann gehen sie zu I. M. Pei, KPF oder Richard Meyer. Bei uns wird kein aufstrebender Architekt den Durchbruch schaffen. Es sei denn, jemand nimmt radikale Änderungen vor. Wahrscheinlich werden die Seniorpartner auch Ihnen auf die Finger schauen.«
    Darüber musste Charlie lachen. Jahrelang hatte er zu hart gearbeitet und zu viel erreicht, um jetzt Lebkuchenhäuser zu bauen. Niemand würde ihn dazu zwingen.
    Aber wie er bald feststellen musste, wurde genau das von ihm erwartet, und die beiden Seniorpartner gaben es ihm deutlich genug zu verstehen. Sie hatten ihn nach New York geholt, weil er das Büro verwalten sollte, statt die Welt zu verändern. Für seine europäischen Projekte interessierten sie sich nicht. Sie wussten zwar Bescheid darüber, behaupteten aber, dies hier sei ein ganz anderer Markt. Im New Yorker Büro verhielten sich die Angestellten so, wie es verlangt wurde und wofür sich die Firma einen Namen gemacht hatte. Charlie war schockiert. Zwei Wochen nach seiner Ankunft fürchtete er, den Verstand zu verlieren. Er fühlte sich hintergangen, sein Talent wurde vergeudet. Deshalb war er nicht nach New York gekommen. Allen wichtigen Kunden wurde er vorgestellt, fungierte aber nur als Aushängeschild. Die Seniorpartner bauten auf seine Erfahrungen im Verkauf von Entwürfen. Doch die erfüllten ihn nicht mit Stolz. Keines der Projekte basierte auf Ideen, die er guten Gewissens vertreten konnte. Wann immer er einen Bauplan verbessern wollte, erschien einer der beiden Seniorpartner in seinem Büro und erklärte ihm das »Klima des New Yorker Markts«.
    »Ich will ehrlich sein«, erklärte er schließlich beim Lunch im University Club mit Arthur Whittaker. »Allmählich bringt mich dieses Klima, von dem Sie dauernd reden, auf die Palme.«
    »Das verstehe ich«, beteuerte Arthur mitfühlend. Natürlich wollten sie ihn nicht verärgern. Sie brauchten ihn in New York, weil niemand zur Verfügung stand, der seinen Posten übernehmen könnte. »Aber Sie müssen Geduld haben. Das ist unser wichtigster Markt.« Was nicht stimmte, und sie wussten es alle. Aber hier war der Konzern gegründet worden, hier lebten sie, und er sollte so geführt werden, wie sie es wünschten.
    »Da bin ich anderer Meinung«, entgegnete Charlie so höflich, wie er es vermochte. »Seit Jahren beziehen Sie den Löwenanteil Ihres Gewinns aus Europa und Japan, wenn diese Projekte auch nicht so groß und auffällig sind wie die hiesigen - aber profitabler und viel interessanter.« Dass Whittaker eine taktvolle Antwort auf diese unliebsamen Enthüllungen suchte, war ihm deutlich anzumerken. Nur eins verstand Charlie nicht - warum die Seniorpartner so beharrlich am langweiligen Stil des New Yorker Büros festhielten und den Zeitgeist ignorierten.
    »Zweifellos wird sich's lohnen, darüber nachzudenken, Charles«, begann Whittaker. Dann erläuterte er in einer längeren Rede, Charlie habe das Gefühl für den amerikanischem Markt verloren. Aber sie würden ihn möglichst bald auf den neuesten Stand bringen. Sie hatten bereits eine Besichtigungstour zu den Projekten geplant, die derzeit in verschiedenen Städten realisiert wurden. Während der nächsten Woche wurde er im Firmenjet von einer Baustelle zur anderen geflogen. Alle Rohbauten basierten auf den gleichen abgedroschenen Entwürfen. Was vor fünfzehn Jahren neu und chic gewesen war, wirkte jetzt trostlos. Einfach unglaublich - während er in Taipeh und Mailand und Hongkong Erstaunliches geleistet hatte, war der Fortschritt in New York verschlafen worden, und die Seniorpartner ließen sich nicht wachrütteln, so sehr er sich auch bemühte. Nach seiner Rückkehr von der Besichtigungstour hörten sie sich an, was er zu sagen hatte. Dann verkündeten sie, irgendwelche Änderungen würden nicht in Frage kommen. Völlig verwirrt überlegte Charles, wie er seine Aufgabe erfüllen sollte. Offensichtlich war es seine Pflicht, den Mund zu halten und das Büro zu leiten. Er fühlte
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