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Die Erscheinung

Titel: Die Erscheinung
Autoren: Danielle Steel
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Pünktlich um zehn stand er vor dem Hotel, wartete auf ein Taxi und atmete ein letztes Mal die Londoner Luft ein, hörte die Geräusche des dichten Verkehrs und betrachtete die vertrauten Gebäude. Irgendwie hatte er das Gefühl, sein Zuhause für alle Zeiten zu verlassen, und er hoffte, irgendjemand würde ihn zurückhalten, bevor es zu spät war. Wenn Carole doch die Straße herablaufen und ihn umarmen und versichern würde, alles sei nur ein böser Traum gewesen, den er endlich überstanden habe …
    Doch dann hielt das Taxi, und der Hotelportier schaute ihn erwartungsvoll an. Und so blieb Charlie nichts anderes übrig, als in den Wagen zu steigen und zum Flughafen zu fahren.
    Schweren Herzens beobachtete er die Menschen, die durch den Regen hasteten, um ihre täglichen Pflichten zu erfüllen. Ein grauer gefrierender Novemberregen, ein typisches englisches Winterwetter. In einer knappen Stunde würde er Heathrow erreichen. Es gab kein Zurück.
    »Möchten Sie jetzt etwas trinken, Mr. Waterston? Champagner? Ein Glas Wein?« Freundlich neigte sich eine der Stewardessen zu ihm, als er sich vom Fenster abwandte und aus seinem Tagtraum erwachte. Seit einer Stunde flog die Maschine durch die Wolken, und es hatte inzwischen zu regnen aufgehört.
    »Nein, danke.« Jetzt wirkte er nicht mehr so verzweifelt wie bei seiner Ankunft an Bord. Unberührt lagen die Kopfhörer auf dem Sitz neben ihm, er schaute wieder aus dem Fenster, und während das Dinner serviert wurde, schlief er.
    »Wenn ich bloß wüsste, was mit ihm passiert ist!«, flüsterte eine der Stewardessen zwei Kolleginnen in der Küche zu. »Er sieht so erschöpft aus.«
    »Vielleicht war er jede Nacht unterwegs, um seine Frau zu betrügen«, meinte eines der Mädchen lächelnd.
    »Wieso glaubst du, dass er verheiratet ist?« Die Stewardess, die ihm Champagner angeboten hatte, war sichtlich enttäuscht.
    »Weil ich einen hellen Streifen am dritten Finger seiner linken Hand entdeckt habe. Er trägt seinen Ehering nicht -ein sicheres Zeichen für seine Seitensprünge.«
    »Oder er ist verwitwet.«
    Stöhnend verdrehten die anderen Mädchen ihre Augen.
    »Einfach nur ein müder Geschäftsmann - das dürft ihr mir glauben.« Belustigt verließ die älteste Stewardess die Küche und rollte einen Servierwagen durch den Mittelgang der ersten Klasse, mit Obst, Käse und Eisbechern beladen. Auf leisen Sohlen ging sie an Charlie vorbei, der fest schlief.
    Am Vorabend hatte er den Ehering abgenommen, eine Zeit lang in der Hand gehalten und sich an den Hochzeitstag erinnert. Wie lange war das her - zehn Jahre in London, neun mit Carole. Aus und vorbei. Auf dem Flug nach New York steckte der Ring in seiner Tasche.
    Ein Traum gaukelte ihm eine lächelnde Carole vor, die zu ihm eilte. Aber als er sie zu küssen versuchte, wandte sie sich ab. Das verstand er nicht. Immer wieder griff er nach ihr. In der Ferne sah er einen Mann, der sie beide beobachtete, der ihr zuwinkte, und da lief sie zu ihm. Mühelos war sie Charlies Händen entglitten. Und dann erkannte er Simon, der ihr lachend entgegenging.

2
    Mit einem harten Aufprall, der Charlie abrupt weckte, landete die Maschine auf dem Rollfeld des Kennedy Airport. Stundenlang hatte er geschlafen, erschöpft von den Aktivitäten und Emotionen der letzten Tage, Wochen - oder Monate. Unbestreitbar die Hölle auf Erden … Als ihm die hübscheste Stewardess um drei Uhr nachmittags Ortszeit den Burberry reichte, lächelte er, und sie fühlte sich von neuem enttäuscht, weil er nicht früher erwacht war und sich mit ihr unterhalten hatte. »Fliegen Sie demnächst mit uns nach London zurück, Mr. Waterston?« Sein Aussehen legte die Vermutung nahe, er müsste in Europa leben. So wie ihre Kolleginnen war die junge Frau in London stationiert.
    »Leider nicht«, erwiderte er und wünschte, er könnte die Frage bejahen. »Ich übersiedle nach New York.« Was sie kaum interessieren wird, dachte er. Sie nickte und eilte weiter. Nachdem er den Trenchcoat angezogen hatte, ergriff er seine Aktentasche.
    Im Schneckentempo bewegte sich die Schlange der Passagiere voran, die das Flugzeug verließen. Endlich stand er am Förderband und wartete auf seine beiden Reisetaschen, dann fand er vor dem Flughafengebäude ein Taxi, das ihn in die City bringen würde. Während er einstieg, staunte er über die winterliche Kälte, die New York bereits im November heimsuchte. Mittlerweile war es vier Uhr geworden. Bis er ein eigenes Apartment fand, würde er das
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