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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4
Autoren: Émile Zola
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Sozialgeschichte einer Familie unter dem Kaiserreich noch eifrig Wert legt – sollte die Auswirkungen der Blutsverwandtschaft auf zwei Ehegatten studieren, durch die sie einander zunächst nähergebracht, später aber gegeneinander aufgebracht werden.
    Dem so formulierten Doppelthema hat Zola durch die Verschmelzung verschiedener Stoffe literarische Gestalt verliehen, wobei sich unter dem Einfluß der Zeitereignisse und der nicht ausdrücklich kenntlich gemachten Aktualitätsbezüge Thema und Stoffe selbst wandelten. Denn das »soziale Drama«, die Provinz unter dem Kaiserreich, hat sich zu einer beißenden politischen Satire und einem in gewisser Hinsicht antiklerikalen Roman ausgewachsen, in dem das »physiologische Drama« letzte katastrophale Auswirkung des sozialen Dramas und nicht eine, wie ursprünglich zu erwarten, im individuellen Sektor motivierte Tragödie ist. Die Verlagerung des thematischen Schwerpunktes und damit die Abwandlung der verarbeiteten Stoffe hat sich nach Mitterands überzeugenden Ausführungen erst während der endgültigen Konzipierung und Niederschrift im Jahre 1873 vollzogen.
    Zwar hatte Zola von Anfang an einen Roman über die Priester und später über den »verliebten Priester« in seine Pläne aufgenommen, aber damit konnte entsprechend der nach Berufsgruppen erfolgten »soziologischen« Gliederung seiner ersten Pläne nie die Gestalt eines Faujas, höchstens die Serges in der »Sünde des Abbé Mouret« gemeint sein.
    Andererseits aber war die Gestalt eines Priesters, die man als einen sehr frühen, nur in Umrissen angedeuteten Vorläufer Faujas˜ betrachten könnte, in Zolas literarischen Versuchen bereits aufgetreten. Mitterand hat darauf hingewiesen, daß die halb novellistische Skizze in »La Cloche« vom 29.3.1870 in keimhaften Ansätzen sowohl die Figur des politisierenden Priesters als auch die der halbirren Betschwester enthält. Auch die für die Ausarbeitung einer solchen Priestergestalt notwendige, aus dem persönlichen Erleben fließende Kenntnis fehlte nicht. Im September 1870 war es in der Provence, wo sich Zola zu dieser Zeit aufhielt, zu heftigen antiklerikalen Kundgebungen gegen einen bis dahin allmächtigen bonapartistischen Priester gekommen.
    Aber Mitterand kann nachweisen, daß Zolas literarisches Interesse an den beiden physiologischen Stoffen – religiöser Wahnsinn bei einer an Nervenzerrüttung leidenden Frau, Irrewerden eines normalen Menschen durch eine ungreifbare Verschwörung seiner Umgebung – dem Interesse an der Gestalt des Priesters in den folgenden zwei Jahren noch durchaus die Waage hielt.
    Ausschlaggebend für die Umgestaltung des Familiendramas zwischen Marthe und Mouret in eine politische Zeitsatire und damit für das Herausheben Faujas˜ waren die Ereignisse des Jahres 1873 selbst. Die Legitimisten, Orléanisten und Bonapartisten begannen sich schon kurz nach der Niederlage des Kaiserreiches wieder zu regen und mit ihren Störmanövern sogar die bescheidensten Versuche republikanischer Reformen zu durchkreuzen. Zola hatte diese Vorgänge nicht nur als Parlamentsberichterstatter aus nächster Nähe verfolgt, auch die Artikel in »La Cloche« während der nächsten Jahre brandmarkten immer wieder in scharfen Worten die Umtriebe der reaktionären Kreise. Thiers˜ Rücktritt und MacMahons Einsetzung als Staatsoberhaupt am 24.5.1873 aber gab ihnen nun völlig freie Hand. Der als Monarchist bekannte Herzog von Broglie wurde mit der Regierungsbildung beauftragt, und die Dunkelmänner der Vergangenheit hatten nichts Eiligeres zu tun, als sich als neue »moralische Ordnung« und damit als Retter Frankreichs den noch immer durch die Commune in Angst und Schrecken versetzten Bourgeois zu empfehlen, wobei sie der nach neuen Machtpositionen Ausschau haltende Klerus eifrig unterstützte. Allenthalben im Lande wurden Wallfahrten veranstaltet, die vom Himmel die Wiedereinsetzung der rechtmäßigen Herrscher Frankreichs erflehen sollten, und am 23.7.1873 wurde durch ein Gesetz die Erbauung der Kirche SacréCœur auf dem Montmartre beschlossen, als eines weithin sichtbaren Monuments dieser neuen Bestrebungen. Zwanzig Jahre später, als die Pilgerströme nach Lourdes das Land durchzogen und die an architektonischer Geschmacklosigkeit kaum zu überbietende Basilika auf dem Montmartre wie eine in Stein gehauene Provokation über Paris, der alten Hochburg des Rationalismus aufragte, die einst die Wiege der Aufklärung gewesen; schleuderte Zola den hochgehenden
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