Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
Vom Netzwerk:
setzte immer von Neuem an, aber ich hatte nicht genügend Abstand zu dem, was ich erzählen will. So kam ich auf den Gedanken, es in Rom zu versuchen, denn in Rom habe ich gute Zeiten meines Lebens verbracht.
    Ich habe eine kleine Wohnung im ersten Stock eines fünfstöckigen Hauses gemietet, sie liegt im Viertel Testaccio, weitab von den touristischen Zonen, in einer Gegend, in der die Römer noch selbst glauben, sie seien ganz unter sich. Kaum mehr als ein paar Minuten von meiner Wohnung entfernt, steht der weiße, hoch aufragende Bau der Cestius-Pyramide, und daneben befindet sich der Metro-Bahnhof Piramide, von dem aus ich schnell ins Zentrum, aber auch nach Ostia, ans Meer, fahren kann.
    Testaccio gefällt mir aber nicht nur wegen der guten Metro-Verbindungen, sondern vor allem, weil es das Viertel der Märkte, der kleinen Lebensmittelgeschäfte und versteckt liegenden Restaurants ist. Jeden Tag gehe ich meist zur Mittagszeit auf den zentralen Markt, einen der lebendigsten in Rom überhaupt, ich kaufe zwei, drei Zeitungen, lasse mich in einigen der kleinen Bars sehen, trinke hier einen Caffè und dort ein Glas Wein und überlege mir, ob ich irgendwo im Freien eine Kleinigkeit esse oder etwas einkaufe, um mir eine einfache Mahlzeit in der Wohnung zuzubereiten.
    Sie liegt ganz in der Nähe des Marktes, an der Piazza di Santa Maria Liberatrice, einem für römische Verhältnisse ungewöhnlich weiträumigen Wohnplatz, den ich noch von meinen früheren Aufenthalten her kenne. Damals habe ich mir immer gewünscht, einmal genau an diesem Platz wohnen zu dürfen, so sehr gefielen mir seine hohen Kastanien und die dunklen Steineichen, die überall für schattige Zonen und Sitzmöglichkeiten sorgen. Schon vom frühen Morgen an ist der Platz mit lesenden, rauchenden und sich unterhaltenden Menschen bevölkert, trotz dieses Lebens herrscht auf ihm aber kein Lärm, sondern eine Art von gelassener Ruhe, die Anwohner bewegen sich langsam, bleiben oft lange in kleinen Gesprächsrunden stehen und erwecken den Eindruck von Menschen, die alles, was sie tun, genauso tun wie die Generationen vor ihnen.
     
    Aus früheren Zeiten habe ich in Rom noch einige Bekannte und Freunde, aber ich werde mich diesmal nicht bei ihnen melden. Stattdessen unterhalte ich mich unten auf dem weiten, grünen Platz mit den Anwohnern, zum Glück spreche ich leidlich Italienisch, so dass ich vom ersten Tag meines Aufenthalts an Kontakte geknüpft habe. Solche Kontakte verpflichten mich aber zu nichts, weder Einladungen noch andere gemeinsame Unternehmungen entstehen aus ihnen, und genau das ist mir recht. Diesmal möchte ich mir meine Freiheit erhalten und nicht an Verabredungen und Treffen gebunden sein, die meinen Arbeitsrhythmus durcheinanderbringen könnten.
    Ich stehe morgens mit den ersten Sonnenstrahlen auf, dann öffne ich die dunkelgrünen Holzläden vor den Fenstern und schaue hinunter auf den lang gestreckten, an allen Seiten von gleich hohen Häusern umsäumten Platz. Jetzt, in den ersten Frühlingstagen, verfängt sich das helle Morgenlicht noch wie ein schwacher Dunst zwischen den Bäumen, ein paar Hundebesitzer sind unterwegs und schauen zu mir hinauf, der Betrieb in der kleinen Bar gegenüber ist schon in vollem Gang, und von der Bäckerei rechts an der Ecke strömt der Duft von frisch gebackenem Brot zu mir herauf.
    In diesen ersten Augenblicken des Tages empfinde ich oft so etwas wie eine starke Lebenslust und eine seltsame Hochstimmung, das Herz schlägt schneller, eigentlich möchte ich sofort hinuntergehen und den ersten Sonnenspuren folgen, das tue ich dann aber nur selten, vielmehr mache ich mir einen Cappuccino und nehme ihn mit hinüber zu meinem Schreibtisch, um gleich mit der Arbeit zu beginnen.
    Die Fenster sind noch geöffnet, die frühen Aromen des Tages strömen herein, ich nippe an dem leicht cremigen Schaum, der den Caffè beinahe ganz verdeckt, ich nippe ein zweites Mal und nehme durch den porösen, lauwarmen Schnee einen kleinen Schluck des schwarzen Caffès, sofort bin ich hellwach und gespannt wie ein kleines Kind, das sich auf ein lange ersehntes Geschenk freut. Mein Geschenk ist die Schrift, ich setze mich an den Schreibtisch, ich trinke weiter in kleinen Schlucken, ich schreibe.
     
    Natürlich ist mir nicht entgangen, wie sehr die Piazza di Santa Maria Liberatrice dem weiten und ovalen Platz vor dem Kölner Wohnhaus gleicht, in dem ich aufgewachsen bin. Gerade weil es aber gewisse Ähnlichkeiten gibt, empfinde ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher