Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
Vom Netzwerk:
ernst wurden, niemand aber brachte so wie der Vater die anderen bereits dadurch zum Lachen, dass er einfach nur lachte. Dieses mir manchmal durchaus unheimliche Lachen war eine Angewohnheit, die ich auch sonst oft an Vater beobachten konnte. Begegneten wir zum Beispiel auf der Straße einem Bekannten, so dauerte es nicht lange, bis Vater lachte und auch sein Gegenüber zum Lachen gebracht hatte, es schien ganz einfach, er lachte alles Befremdliche und Steife weg, und wenn ihm jemand besonders gehemmt oder gar schwierig daherkam, imitierte er ihn ein wenig und lachte.
    Es hätte Menschen geben können, die ihm das sehr übel genommen hätten, das kam aber nicht vor, die meisten waren vielmehr erleichtert, von Vater so munter und aufgeräumt angesprochen zu werden, als gäbe es in der Welt nichts Schwieriges oder Unlösbares, sondern als bildeten sich die anderen so etwas nur ein. Eine Verkäuferin hatte Vater deswegen einmal eine Frohnatur genannt, Sie sind eben eine richtige Frohnatur , hatte sie zu ihm gesagt und mir dadurch wieder einmal etwas zum Grübeln gegeben.
    Wieso, fragte ich mich, war Vater denn eine solche Frohnatur? Wieso lachte er bereits, wenn ich meinen Roller aus dem Keller geholt hatte und losfuhr? Was war an diesem Losfahren denn bloß so komisch oder befreiend, dass man darüber lachen konnte? Vielleicht, dachte ich damals, war Vater oft so munter und gelöst, weil Mutter das genaue Gegenteil war, vielleicht wollte er in unser Leben etwas Leichtigkeit hineinbringen, während Mutter weiß Gott keine Person war, die irgendetwas leicht zu nehmen verstand.
    Jedenfalls mochte ich meinen Vater sehr, nicht nur wegen seines befreienden Lachens, sondern auch, weil er mich niemals tadelte oder schimpfte oder zu etwas aufforderte, was ich nicht gern getan hätte. Vater und ich – wir verstanden uns gut, auch ohne das ununterbrochene, korrigierende und besserwisserische Reden, das andere Eltern auf ihre Kinder niederregnen ließen. Dabei spielte auch eine Rolle, dass mir Vaters Kleidung gefiel. Immer war er anders und gut gekleidet, er trug Kleidung, die zur jeweiligen Jahreszeit passte, und überlegte sich sehr genau, was er anzog. Oft trug er ein frisches, weißes Hemd und eine Fliege, er besaß sehr viele Fliegen, sie baumelten in einer langen Kette an der Innentür des Kleiderschrankes, und manchmal holte ich mir zwei, drei von der Schnur und probierte sie an, als wollte ich für ein paar Minuten hineinschlüpfen in die Rolle des Vaters.
     
    In der Gegenwart eines so großen und stattlichen Mannes hatte ich keine Angst, auch in der lauten Wirtschaft, in deren Vorraum sich niemals andere Kinder aufhielten, hatte ich keine, ich war Vater vielmehr dankbar, dass er mich dorthin mitnahm und so wenigstens für kurze Zeit einmal unter Leute brachte. Die trinkenden Männer ließen mich ohnehin in Ruhe, niemand sprach mich an und brachte mich damit in Verlegenheit, es kam höchstens vor, dass einer von ihnen auf die Toilette verschwand, mir beim Vorbeigehen kurz übers Haar strich und fragte, wie es mir gehe. Eine solche Frage war aber nicht ernst gemeint, das konnte ich schon daran erkennen, dass der Frager nicht auf eine Antwort wartete, sondern einfach weiterging, als genüge die Frage vollkommen und als erwarte er überhaupt keine Antwort.
    Und so stand ich denn an vielen Abenden unter den trinkenden und sich laut unterhaltenden Männern, blätterte in einer Zeitschrift, lauschte den vielen Stimmen und träumte, dass ich von all den Speisen kosten dürfe, die aus der Küche an den trinkenden Männern vorbei in den eigentlichen Gastraum gebracht wurden. Die meisten Gäste bestellten die dicken, schwitzenden Würste, dazu etwas Sauerkraut und Püree, das Sauerkraut dampfte leicht, und die Würste sahen prall und fest aus, während das Püree cremig, als ein kräftiger, hell leuchtender Farbklecks, am Rand des Tellers lag.
    Ich träumte, dass ich mit den Eltern im Gastraum saß und mir aus den kleinen Tontöpfchen, die auf den blank gescheuerten Tischen standen, etwas Senf nahm, ich träumte, dass ich eine Portion Sauerkraut auf einer kleinen Gabel balancierte und langsam in den Mund führte, und ich träumte davon, einmal von Vaters Kölsch nippen zu dürfen, um endlich zu erfahren, ob es wirklich das beste Getränk der Welt war und so unglaublich gut und frisch schmeckte, wie die Männer um mich herum immer wieder behaupteten.
     
    Aus dieser Zeit habe ich mir einen unausrottbaren Hang zu einfachen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher