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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde
Autoren: Emile Zola
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gemäß den Anordnungen, die Herr Hourdequin ihm für den Tag gegeben hatte, zum Feld Le Poteau gehe.
    »Gut!« antwortete sie. »Die Egge muß dort sein.« Als der Bursche die kleine Bäuerin dann einholte und sie sich im Gänsemarsch auf dem schmalen Pfad entfernten, rief sie ihnen mit ihrer geilen Possenreißerstimme noch nach: »Keine Gefahr, wenn ihr euch zusammen verirrt, denn die Kleine findet sich schon zurecht.«
    Hinter ihnen wurde das Gehöft wieder menschenleer. Keiner von beiden hatte dieses Mal gelacht. Sie schritten langsam dahin, allein das Geräusch ihrer gegen die Steine stoßenden Schuhe war um sie. Er sah von ihr nur den kindlichen Nacken, auf dem sich unterhalb der runden Haube schwarze Härchen kräuselten.
    Nach einigen fünfzig Schritten endlich sagte Françoise bedächtig:
    »Es ist nicht recht von ihr, die andern mit den Männern aufzuziehen. Ich hätte ihr antworten können ...« Und sie drehte sich zu dem jungen Mann um und fragte ihn mit schelmischer Miene: »Nicht wahr, es stimmt doch, sie betrügt Herrn Hourdequin, ganz so, als ob sie schon seine Frau wäre ... Ihr wißt vielleicht was darüber, stimmt's?«
    Die Frage verwirrte ihn, er stellte sich dumm.
    »Freilich! Sie macht, was ihr gefällt, das ist ihre Sache.«
    Françoise hatte ihm den Rücken zugekehrt und sich wieder in Marsch gesetzt.
    »Ja, das stimmt ... Ich mache Spaß, weil Ihr beinahe mein Vater sein könntet und das mit Euch keine Folgen nach sich zieht ... Aber seht mal, seit Geierkopf meiner Schwester diese Schweinerei angetan hat, habe ich mir fest geschworen, mir eher alle vier Glieder abzuhacken, als mir einen Liebsten zuzulegen.«
    Jean schüttelte den Kopf, und sie redeten nicht mehr. Das kleine Feld Le Poteau lag am Ende des Pfades, auf halbem Wege nach Rognes. Als der Bursche dort war, blieb er stehen. Die Egge wartete auf ihn. Ein Sack Saatgetreide war in einer Furche abgeladen worden. Er füllte sein Sätuch und sagte dabei:
    »Also, leb wohl!«
    »Lebt wohl!« antwortete Françoise. »Nochmals, schönen Dank!«
    Aber er wurde von einer Furcht erfaßt, er richtete sich wieder auf und rief:
    »Hör mal, wenn die Coliche wieder anfängt ... Willst du, daß ich dich bis nach Hause begleite?«
    Sie war bereits weit weg, drehte sich um, rief ihm mit ihrer ruhigen und starken Stimme durch das große Schweigen der Flur zu:
    »Nein! Nein! Nicht nötig, keine Gefahr mehr! Sie hat ihr Maß voll!«
    Das Sätuch über dem Bauch zusammengeknüpft, hatte sich Jean daran gemacht, das Stück Sturzacker hinunterzugehen, mit dem steten Schwung des Armes, mit dem Auffliegen des Korns; und er blickte auf, er sah, wie Françoise winziger wurde zwischen den Feldern, ganz klein ward hinter ihrer trägen Kuh, die ihren großen Körper wiegte. Als er wieder hinaufging, sah er sie nicht mehr; aber bei der Rückkehr fand er sie wieder, noch kleiner geworden, so dünn, daß sie einer Pusteblume ähnelte bei ihrem schlanken Wuchs und mit ihrer weißen Haube. Dreimal wurde sie solchermaßen immer kleiner; dann suchte er sie vergebens, sie mußte vor der Kirche um die Ecke gebogen sein.
    Es schlug zwei Uhr. Der Himmel blieb grau, dumpf und eisig; und Schaufeln voll feiner Asche schienen dort die Sonne für lange Monate, bis zum Frühling, begraben zu haben. In dieser Traurigkeit ließ ein hellerer Fleck die Wolken in Richtung Orleans blaß wirken, als habe in dieser Gegend, meilenweit entfernt, irgendwo die Sonne gestrahlt. Auf diesem fahlen Ausschnitt hob sich der Kirchturm von Rognes ab, während, in der unsichtbaren Geländefalte der AigreMulde verborgen, das Dorf zum Tal hin abfiel. Aber in Richtung Chartres, im Norden, bewahrte die ebene Linie des Horizonts zwischen der erdigen Einförmigkeit des weiten Himmels und der sich grenzenlos entrollenden Beauce die Deutlichkeit eines Tintenstrichs, der eine Tuschzeichnung durchschneidet. Seit dem Mittagessen schien die Zahl der Säer dort zugenommen zu haben. Nun hatte jedes Stückchen des leichten Ackerbodens seinen Sämann, sie vermehrten sich, wimmelten wie emsige schwarze Ameisen, die durch irgendeine schwere Arbeit in Aufregung versetzt waren und sich wild auf ein übermäßiges, im Vergleich zu ihrer Winzigkeit riesiges Werk stürzten; und dennoch unterschied man sogar bei den Fernsten die eigensinnige Gebärde, immer die gleiche Gebärde, diese Starrköpfigkeit von Insekten im Ringen mit der Unermeßlichkeit des Bodens, diese letzten Endes über die Weite und das Leben siegende
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