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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde
Autoren: Emile Zola
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seinen Füßen zurückschweifen. Er betrachtete die frischen Erdhügel, unter denen Françoise und der alte Fouan schliefen. Seine Zornesausbrüche vom Morgen, sein Ekel vor den Leuten und den Dingen verflogen in einer tiefen Beruhigung. Er fühlte, wie wider Willen, vielleicht wegen der lauen Sonne, Sanftmut und Hoffnung über ihn kamen.
    Ach, ja, sein Herr Hourdequin hatte sich viel herumgeärgert mit den neuen Erfindungen, hatte nicht viel Gutes aus seinen Maschinen herausgeholt, aus den Düngemitteln, aus dieser ganzen Wissenschaft, die noch so schlecht angewandt wurde. Dann war die Cognette gekommen und hatte ihm den Rest gegeben; auch er schlief auf dem Friedhof; und nichts blieb mehr von dem Gehöft, dessen Asche der Wind verwehte. Aber was lag schon daran! Mochten die Mauern niederbrennen, die Erde würde man nicht verbrennen. Immer würde die Erde, die Nährmutter, dasein und jene ernähren, die den Samen in sie senkten. Ihr gehörte Zeit und Raum, sie gab trotz allem Getreide, bis man wissen würde, wie man sie bewegen konnte, noch mehr Getreide zu geben.
    Das war wie mit jenen Revolutionsgeschichten, jenen politischen Umwälzungen, die man ankündigte. Der Boden, sagte man, würde in andere Hände übergehen, die Ernten der Länder dort drüben würden unsere Ernten erdrücken, es würden nur noch Brombeersträucher auf unseren Feldern wachsen. Und dann? Kann man der Erde denn Unrecht tun? Sie wird trotzdem irgend jemandem gehören, der eben gezwungen sein wird, sie zu bestellen, um nicht vor Hunger zu verrecken. Wenn Jahre hindurch Unkraut darauf wuchs, so würde sie das ausruhen lassen, sie würde dadurch wieder jung und fruchtbar werden. Die Erde hat nicht teil an den Streitereien von uns jähzornigen Insekten, sie befaßt sich mit uns nicht mehr als mit den Ameisen, die große Arbeiterin, die immer und ewig am Schaffen ist.
    Es gab auch Schmerz, Blut, Tränen, alles, was man erleidet, und alles, was einen empört, den Mord an Françoise, den Mord an Fouan, den Triumph dieser Schurken, das blutdürstige und stinkende Geschmeiß der Dörfer, das die Erde entehrte und zernagte. Bloß weiß man es denn? Ebenso wie der Frost, der die Ernten versengt, der Hagel, der sie zerhackt, der Blitz, der sie umlegt, vielleicht notwendig sind, bedarf es möglicherweise des Blutes und der Tränen, damit die Welt ihren Lauf nimmt. Was wiegt denn schon unser Unglück im großen Mechanismus der Sterne und der Sonne? Der liebe Gott, der macht sich tüchtig über uns lustig! Wir kommen zu unserem Brote nur durch einen furchtbaren und tagtäglichen Zweikampf. Und die Erde allein bleibt die Unsterbliche, die Mutter, aus der wir kommen und in die wir wieder eingehen, sie, die man liebt bis zum Verbrechen, die ständig zu ihrem unbekannten Zwecke neues Leben schafft, selbst mit unseren Schandtaten und unserem Elend.
    Lange wälzte sich dieses wirre, schlecht in Worte zu fassende Träumen in Jeans Schädel. Aber ein Clairon erklang in der Ferne, das Clairon der Feuerwehrleute von BazochesleDoyen, die im Laufschritt eintrafen, jedoch zu spät. Und bei diesem Signal richtete er sich jäh auf. Das war der Krieg, der im Rauch vorüberzog mit seinen Pferden, seinen Kanonen, seinem Schlachtenlärm. Rührung schnürte ihm die Kehle zu! Ach, du liebes, Leiden, da ihm das Herz nicht mehr danach stand, die Erde zu bestellen, würde er sie verteidigen, die alte Erde Frankreichs!
    Er brach auf, und ein letztes Mal ließ er seine Blicke von den beiden vom Unkraut noch unberührten Gräbern zu den endlosen Sturzäckern der Beauce schweifen, die die Säer mit ihrer steten Gebärde erfüllten. Tote, Saaten, und das Brot wuchs aus der Erde.
     

Anmerkungen
    1 Beauce – reiches Landwirtschaftsgebiet südwestlich von Paris zwischen Seine und Loire mit dem Hauptort Chartres.
    2 Canton – Teilbezirk eines Arrondissements.
    3 Perche – nordfranzösische Landschaft in den Departements Orne und EureetLoir mit berühmter Pferdezucht.
    4 Arrondissement – Unterverwaltungsbezirk des Departements, der etwa dem Kreis in Deutschland entspricht.
    5 Angelus – das mit den Worten »Angelus Domini nuntiavit Mariae« – (lat.) Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft – beginnende katholische Dankgebet für Christi Menschwerdung, das morgens, mittags und abends beim Glockenzeichen verrichtet wird.
    6 Provenzale – Südfranzose.
    7 Solferino – Gemeinde in der oberitalienischen Provinz Mantua. In der Schlacht bei Solferino am 24.6.1859 errangen die
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