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Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Titel: Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
Autoren: Courtney Milan
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ihr genau das gesagt, was die anderen ihr alle ins Gesicht geworfen hatten, dass sie falsch sei, fehlerhaft und schrecklich.
    Es war nicht einfach die Lust unerfüllter körperlicher Bedürfnisse, die er für sie empfand. Er liebte sie. Er liebte alles an ihr, von der rückhaltlosen Liebe für ihre Schwester bis zu dem Achselzucken, mit dem sie sich zu ihm aufs Pferd schwang. Er liebte ihr Lächeln. Er liebte, dass sie sich weigerte, sich zu schämen, nur weil jemand anders ihr Verhalten nicht billigte.
    Er liebte Jane. Er würde sie immer lieben.
    Er liebte den Menschen, den sie aus ihm gemacht hatte – einen Mann, der Entführungen vereiteln und in ein Haus einbrechen konnte, wenn die Umstände es erforderten. Einen Mann, der es mit Bradenton aufnehmen und in ihm einen Gegner sehen konnte, den man besiegen musste, keinen einflussreichen Lord, den es zu beschwichtigen galt.
    Und er hatte sie zu einem Niemand machen wollen, weil er sich selbst zu einem gemacht hatte.
    Er hatte geglaubt, er brauchte einen Spatzen – eine anständige, aufrechte Frau, die sein Geld so sehr brauchte wie er ihre Lebensart und ihren Hintergrund.
    Plötzlich konnte er das Leben mit dieser noch gar nicht erwählten Frau vor sich sehen. Seine ach so achtbare Ehefrau würde ihm nie offen mitteilen, sein Vater sei ungeschliffen und nicht standesgemäß. Sie würde es naserümpfend andeuten. Vielleicht würde sie sogar vorschlagen, dass im folgenden Jahr vielleicht Mr. Marshall Senior während der Saison besser nicht zu Besuch kam, da er sich unter Seinesgleichen sicher so viel wohler fühlen würde.
    Sie würde seine Kinder bekommen – und sie dazu erziehen, so still und wohlerzogen wie sie selbst zu werden – und sich ein wenig der Abstammung ihres Vaters schämen.
    „Ja“, konnte er eines von ihnen sagen hören, „seine Mutter war ein Schandfleck, aber wenigstens war unser Großvater ein Herzog. Das muss doch etwas zählen.“
    Sie würden nie von ihrer Tante Free sprechen – zu kühn, zu vorlaut, einfach von allem zu viel. Selbst Patricia, mit einem Juden verheiratet, oder Laura, die mit ihrem Mann ein Geschäft führte, wären anrüchig. Schließlich würde seine Gattin vermutlich einfach vorschlagen, dass es am besten sei, man tue so, als ob es Olivers Familie nicht gäbe.
    Jane hatte recht. Er hatte seinen Mut gegen Ehrgeiz eingetauscht.
    Und wenn er es nicht richtig machte – wenn er es nicht lernte, diese Erinnerung an den Schmerz zu unterdrücken und neuerlich nach den Kohlen vor sich zu greifen –, würde er auf immer in den Ketten seines Schweigens gefangen sein. Er hatte schon zu viel aufgegeben: Jane, seine Schwester, sogar die Konfrontation mit Bradenton. Er hatte Jane das Meiste sagen lassen. Er hatte nicht einmal Bradenton ins Gesicht gesagt, wie widerlich er war.
    Damit wenigstens war eines geklärt. Oliver stand auf. Er wusste nicht, wie er die Sache mit Jane wieder in Ordnung bringen konnte, mit Bradenton hingegen …
    Bradenton schuldete ihm eine Stimme, und Oliver würde sie sich holen.
    Er legte das Buch hin, holte sich seinen Mantel. Er ging die Treppe hinunter in die Eingangshalle hinab.
    Und dann stellte Oliver mit größter Anstrengung – mit der Anstrengung eines Mannes, der alles auf den Kopf stellte, was er aus sich gemacht hatte – einen Fuß vor die Tür in den warmen Maisonnenschein.

    E INE HALBE S TUNDE später wurde Oliver in das Arbeitszimmer des Marquis of Bradenton geführt. Der Mann wirkte überaus verärgert. Er schüttelte den Kopf und setzte sich an den Schreibtisch, klopfte mit Olivers Karte auf die Holzplatte.
    „Beinahe hätte ich Sie gar nicht empfangen“, teilte er ihm mit.
    „Natürlich“, erwiderte Oliver. „Aber Ihre Neugier war größer und hat die Oberhand gewonnen.“
    „Aber dann“, sagte Bradenton, „ist mir wieder eingefallen, dass die Abstimmung im Parlament näher rückt und ich meine Rede schreiben will. Über Bauern und Gouvernanten. Ich dachte mir, es sei daher nicht verkehrt, mir Anschauungsmaterial an der Quelle zu holen.“
    Sollte das eine Beleidigung sein?
    „Sparen Sie sich Ihre verdeckten Andeutungen“, erwiderte Oliver. „Und Ihre Sticheleien. Sie werden Ihren Atem noch brauchen, um Ihre Stimme für die Ausweitung des Wahlrechts abzugeben.“
    Bradenton lachte. „Das kann nicht Ihr Ernst sein. Angesichts dessen, was Sie mir angetan haben, glauben Sie, ich gebe Ihnen meine Stimme?“
    „Natürlich nicht“, erwiderte Oliver. „Wie könnte ich Ihre
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