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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben
Autoren: EJ Waldau
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gerührt zu Thor. „Und was bringt euch dazu, zu glauben, ich hätte auch irgendeine – wie hast du es genannt? Gabe?“

Bevor Thor antworten konnte, lehnte ich mich vor. „Hast du doch, oder?“

Ennis Blick wanderte zu mir. Zwischen dem Schock und der Überraschung meinte ich darin irgendwie Angst zu erkennen. Aber nicht vor uns.

„Was ist deine Fähigkeit?“, bohrte ich weiter und sah ihm tiefer in die Augen, die gar nicht mehr wirklich auf mich gerichtet waren.

Ennis wirkte entrückt, irgendwie abwesend.

Schließlich schüttelte er den Kopf.

„Das was ich habe, ist keine Fähigkeit“, spukte er schließlich aus und sah mich wieder an. „Es ist ein Fluch.“

„Warum?“

Statt einer Antwort deutete er auf den Wagen, neben dem wir stehen geblieben waren.

„Schau einfach nur hin“, raunte er.

Es war kein besonderes Auto. Schwarz, ein wenig dreckig, ziemlich lang und vermutlich schon etwas älter.

Gerade, als ich Ennis fragen wollte, was er damit bezweckte, färbte sich der Wagen grün.

Überrascht blinzelte ich und ging einen Schritt zurück.

Es war grün, eindeutig.

Nein, gelb.

Rot.

Blau-weiß kariert.

Das Auto wechselte von Sekunde zu Sekunde die Farbe; mal war es einfarbig, dann wieder gemustert. Verblüfft drehte ich mich zu Thor, der ebenfalls überrascht und beeindruckt wirkte.

Ich lachte auf. „Ennis, das ist doch großartig“, drehte ich mich wieder zurück und haute ihm leicht auf die Schulter.

Für eine Sekunde wirkte sein Blick genauso leer wie in dem Moment, als wir in sein Zimmer gekommen waren.

Als er mich wieder ansah, war jedoch keine Freude in seinem Gesicht zu sehen.

„Findest du?“, fragte er stattdessen und deutete zu Thor.

Ich drehte mich wieder zu meinem Bruder, der neugierig zu warten schien, was als nächstes passieren würde.

Entsetzt schlug ich die Hand vor den Mund, als ein Tropfen Blut aus seinem Mundwinkel lief. Seine Augen verdrehten sich grotesk und ließen ihn schielend zum Himmel sehen, während langsam weiteres Blut aus seinem Mund und seinen Augen sickerte.

Ich keuchte und stolperte zurück, als sich plötzlich eine Schlange wie aus dem Nichts um Thors Bein schlängelte.

„Was-“, stammelte ich und starrte Ennis an.

Wieder waren seine Augen vollkommen ausdruckslos. „Es ist nicht echt“, meinte er und seine Stimme klang monoton und leer.

Er blinzelte und das warme, wässrige Blaugrün kam in seine Augen zurück. „Es ist nur eine Illusion.“

Und tatsächlich waren die Schlange und das Blut verschwunden und Thor stand da wie zuvor, ohne einen Hinweis, dass er gerade zu einer Horrorgestalt geworden war.

Das also hatte Elijah mit Phantastereien gemeint
    , schoss es mir durch den Kopf.

Ennis blickte stumm wieder zu Boden und vergrub die Hände erneut in seinen Manteltaschen.

Er wirkte unbeholfen, traurig und angeekelt von sich selbst.

Was ich nicht ganz verstehen konnte.

Es war sicher hart gewesen, diese Fähigkeiten zu haben und mit niemandem sprechen zu können. Daher hätte ich vielleicht mit einer Spur Erleichterung gerechnet. Doch dieser Ekel in Ennis Gesicht war mir ein Rätsel.

Thor räusperte sich und suchte Ennis Blick. „Du hast mit deiner Fähigkeit unbeabsichtigt Menschen erschreckt, habe ich Recht?“

Ennis nickte ohne aufzusehen.

„Wir trainieren deine Fähigkeit“, versprach Thor. „Es ist nicht deine Schuld, mach dich deswegen nicht verrückt.“

Überzeugung spiegelte sich zwar nicht gerade in Ennis Gesicht wieder, aber er nickte trotzdem.

Es wurde ziemlich spät, bis wir uns von Ennis verabschiedeten. Thor hatte ganze Arbeit geleistet, ihm alles so einfühlsam und vorsichtig wie möglich zu erklären. Und auch wenn Ennis kaum Regung gezeigt und ziemlich überfordert gewirkt hatte, schien er uns zu glauben und Vertrauen zu fassen. Zumindest hoffte ich das, denn wirklich viel gesprochen hatte er die ganze Zeit über nicht. Selbst auf Fragen hatte er eher nonverbal oder mit Einsilbigkeit reagiert. Ich vermutete, es war der Schock und ich konnte ihn verstehen. Mir selbst wäre es nicht anders gegangen, vermutlich hätte ich sogar die Flucht ergriffen.

Ich folgte meinem Bruder ins Haus unserer Eltern. Seit dem Sturm schlief ich dort, obwohl ich mittlerweile wusste, dass mir nicht wirklich etwas hätte passieren können. Trotzdem fühlte sich die Abgeschiedenheit über der Garage nicht mehr cool und unabhängig an, sondern unsicher und einsam.

Mum schien erleichtert über meine Entscheidung gewesen zu sein,
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