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Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)

Titel: Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
Autoren: Leila Meacham
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Plötzlich bemerkte sie ganz neue Dinge, obwohl es ihr andererseits schwerfiel, Ereignisse und Menschen chronologisch richtig einzuordnen. »Ich hatte ein paar juristische Fragen an Amos«, antwortete sie. »Wie geht’s, Bubba? Wie schlägt sich die Familie?«
    »Mein Junge ist von der Texas University angenommen worden. Danke für Ihre Glückwünsche zu seinem Schulabschluss. Den Scheck kann er gut gebrauchen. Mit dem Geld kann er sich im September die ersten Lehrbücher kaufen.«
    »Das schreibt er in seinem Dankeschönbrief auch. Hat übrigens eine schöne Handschrift, Ihr Junge. Wir sind stolz auf ihn.« Vietnam , dachte Mary, es muss Vietnam sein.
    »Hier gibt’s ja auch gute Vorbilder, Miss Mary«, sagte der Friseur.
    Sie lächelte. »Passen Sie auf sich auf, Bubba. Und sagen Sie Ihrer Familie auf Wiedersehen von mir.« Als sie weiterging, spürte sie den erstaunten Blick Bubbas im Rücken. Ein wenig melodramatisch, ja, aber später würde Bubba sich wichtig fühlen können, wenn er Leuten von seiner letzten Begegnung mit Mary Toliver erzählte. Sie hat ’ s gewusst , würde er erklären. Mary wusste, dass sie todkrank war. Warum sonst hätte sie das gesagt? So würden sich weitere Legenden um ihre Person
ranken wie um die von Ollie, doch sie würden vergessen werden, sobald Bubbas Kinder das Zeitliche segneten, denn dann gäbe es keinen mehr, der sich noch an die Tolivers erinnerte und an das, wofür sie standen.
    Nun denn! , dachte Mary und presste die Lippen zusammen. Nur Percy hinterließ einen Sohn, der die Familientradition fortführen konnte. Und der war aus demselben Holz geschnitzt wie sein Großvater. Matt Warwick erinnerte sie in vielerlei Hinsicht an ihren eigenen Matthew, obwohl der das Aussehen der Tolivers geerbt hatte und Matt das seines Großvaters. Wenn sie Matt beobachtete, hatte sie manchmal das Gefühl, ihren eigenen Sohn aufwachsen zu sehen.
    Sie trat vom Gehsteig auf die Straße und behinderte damit die Autofahrer, die nach rechts abbiegen wollten. Mary ließ sich Zeit, und niemand hupte. Dies war Howbutker, wo die Menschen noch Manieren besaßen.
    Sicher auf der anderen Straßenseite, fiel ihr Blick auf eine gewaltige Ulme, deren Äste eine ganze Seite der Rasenfläche vor dem Gerichtsgebäude in Schatten hüllten. Sie erinnerte sich noch an den frisch gepflanzten Baum im Juli 1914, als das Gebäude fertiggestellt worden war, vor einundsiebzig Jahren. Eine hohe Statue des heiligen Franziskus stand darunter, mit Worten des berühmten Mannes auf dem Fundament.
    Mary machte unsicher einen Schritt auf die schattige Bank zu, von der aus sie der Einweihungsrede ihres Vaters gelauscht hatte. Wieder einmal glaubte sie, jung zu sein und frische Kraft zu spüren. Es machte ihr weniger aus, »aus dem Leben herausgerissen« zu werden, als sich beim Sterben so lebendig zu fühlen, als hätte sie die ganze Zukunft vor sich. Sie erinnerte sich an – spürte noch einmal! – die Zeit mit vierzehn, als sie an jenem Morgen die Treppe in ihrem weißen Kleid mit dem grünen Satinsaum heruntergesprungen war, ein Band der gleichen Farbe im Haar, die Enden so lang wie
ihre schwarzen Locken, die ihr bis auf die Schultern reichten. Ihr Vater hatte ihre Schritte mit stolzem Blick von unten beobachtet und verkündet, sie sehe »entzückend« aus, während ihre Mutter in ihre Handschuhe schlüpfte.
    Bei der Einweihung waren die Blicke aller auf sie gerichtet gewesen … außer der von Percy. Die Freunde ihres Bruders hatten sie spielerisch geneckt, Ollie hatte bemerkt, wie erwachsen sie wirke und dass der grüne Satinstoff die Farbe ihrer Augen ausgesprochen vorteilhaft zur Geltung bringe.
    Mary erinnerte sich an die schwüle Hitze jenes Tages, in der sie vor Durst zu vergehen schien und in der plötzlich, wie aus dem Nichts, Percy auftauchte und ihr ein Eiscreme-Soda aus dem Drugstore auf der anderen Straßenseite hinhielt.
    Percy …
    Ihr Herz begann schneller zu schlagen wie damals, als sie ihn unvermittelt vor sich stehen sah: groß gewachsen, blond und mit neunzehn schon fast schmerzlich attraktiv. Früher einmal hatte sie ihn sehr galant gefunden und zum Helden ihrer geheimen Träume erkoren, doch sobald sie zur »jungen Dame« heranreifte, spürte sie, wie sein Verhalten ihr gegenüber sich änderte. Sie hatte zunehmend das Gefühl, ihn zu belustigen. Zahllose Male dachte sie, verletzt durch seine spöttischen Blicke, vor dem Spiegel über sein ungewohntes Benehmen nach. Sie war in der Tat hübsch,
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