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Die Erben der Schöpfung

Die Erben der Schöpfung

Titel: Die Erben der Schöpfung
Autoren: Jeffrey Anderson
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sie wieder klar denken konnte. Als sie sich Schweiß und Fliegen aus den Augen gewischt hatte, sah sie in der Ferne ein metallisches Glitzern.
    Ein Zaun? Sie sah genauer hin. Wie kam ein Zaun mitten in den Amazonasdschungel?
    Sie stand auf und humpelte auf das Bauwerk zu. Es war nicht nur ein Zaun, sondern eine massive Barriere von zehn Metern Höhe, noch dazu oben durch anderthalb Meter Stacheldraht gesichert, der aussah, als hätte man ihn in San Quentin gestohlen. Das Monstrum stand auf einer künstlichen Lichtung im rechten Winkel zum Fluss und erstreckte sich von einem Punkt etwa drei Meter weit im Fluss endlos in die Ferne. Das musste der Komplex sein, von dem Paulo gesprochen hatte.
    Als sie näher kam, sah sie, dass es keine Mauer war, sondern ein solider Maschendrahtzaun mit vertikalen und diagonalen Stahlstreben zur Verstärkung. Auf beiden Seiten des Zauns hatte man je sechs Meter Regenwald gerodet und so eine Waldinsel im Inneren geschaffen. Warum machte jemand etwas derart Unsinniges? Als ob die sich durchs Amazonasbecken schlängelnden Straßen nicht schon schlimm genug wären, musste nun auch noch der Wald parzelliert werden?
    Eine Collage aus Kurven und Diagrammen kam ihr in den Sinn. Während jemand, der Fachzeitschriften für Theoretische Biologie nicht zu seiner Lieblingslektüre zählte, den Zaun womöglich mit einem Achselzucken quittiert hätte, stellte er für Jamie eine persönliche Beleidigung dar. Zusammen mit einer Arbeitsgruppe hatte sie während ihres Postdocs bei Martin Nowak in Princeton eine umfangreiche Studie erstellt, die bestätigte, dass die Anzahl von Arten, die auf einem vorgegebenen Gebiet existieren konnte, direkt mit der Größe dieses Gebiets zusammenhing. Also konnte ein Netz von Straßen, Zäunen oder ähnlichen Barrieren die Anzahl von Arten, die der Regenwald verkraftete, drastisch einschränken und im schlimmsten Fall die Hälfte der Arten im Wald ausrotten.
    Sie hob eine herabgefallene Liane und watete in den Fluss hinaus. Das Wasser reichte ihr weit über den Kopf, und so hielt sie sich gut am Zaun fest und band die Ranke um eine der Stahlstreben herum. Während sie mit einer Hand gegen die Strömung kämpfte und mit der anderen die Liane festhielt, wand sie sich im Wasser um die stacheldrahtbewehrte Kante des Zauns herum.
    Prustend erreichte sie die andere Seite, griff mit beiden Händen nach einer der Querstreben und ruhte sich aus, während ihre Liane davontrieb und über den wild aufschäumenden Fluss hüpfte. Sie stieg aus dem Wasser und kletterte seitlich den Zaun entlang, bis sie auf dessen Innenseite auf festes Ufer springen konnte.
    Nachdem sie ihr Bein notdürftig verarztet hatte, an dem sich nach ihrem überstürzten Lauf garantiert ein handfestes Schienbeinkantensyndrom entwickeln würde, humpelte sie in gemächlichem Tempo in den dunklen Wald. Durch die Bäume drang jedoch genug Licht, dass sie ihren Weg sehen konnte. Aufgrund ihrer Erfahrung war sie mit dem Wald so vertraut, dass er für sie nicht in jeder Richtung gleich aussah, zudem hatte sie gelernt, beim Gehen ihren Weg zu markieren.
    Sie marschierte weiter in das abgezäunte Gebiet hinein, fand jedoch keine Spur von den Leuten, die diese seltsame Absperrung errichtet hatten. Alles sah nach unberührtem Regenwald aus. Also machte sie kehrt, da sie sich mehr davon versprach, wenn sie es von der Amazonasseite her versuchte.
    Auf dem Weg zurück zum Rio Vicioso blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen. Ausgeschlossen. Sie ging weiter und musste über ihre lebhafte Fantasie lachen. Kaum hatte sie fünf Schritte getan, hörte sie es erneut, diesmal lauter.
    Sie ging schneller. Das Geräusch ertönte wieder – raschelndes Laubwerk, gefolgt von einem charakteristischen Brüllen. Diesmal wirbelte sie herum und musterte angestrengt die Umgebung. Wenige Sekunden darauf hörte sie es abermals und konnte endlich ausmachen, woher es kam. Es war nichts zu sehen, doch sie wusste genau, dass sie im Lauf ihrer zweijährigen Feldforschung dieses Geräusch niemals gehört hatte, nicht hier. Warum auch? Sie befand sich schließlich im Amazonasbecken, nicht in Westafrika.
    Sie suchte zwischen den Bäumen und wurde schließlich durch ein lautes Rascheln belohnt, das etwa dreißig Meter über ihr im unteren Blätterdach ertönte. Doch sie musste sich irren. Wahrscheinlich war es nur ein Faultier.
    Fasziniert sah sie zu, wie das Tier langsam und vorsichtig vom Baum herabstieg. Und dann verschlug es ihr den Atem. Es war
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