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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Oliver Becker
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wiederholte dieses Wort gerade noch einmal in Gedanken, als Schüsse aus Musketen ertönten, gefolgt von Schreien und wildem Hufschlag. Von allen Seiten nahmen urplötzlich fremde Reiter Gestalt an. Sie schälten sich aus den länger werdenden Schatten von Bäumen und Gebüschen, sie schnellten scheinbar aus der nackten Erde empor, wie von Zauberhand zum Leben erweckt, sie feuerten aus Pistolen, schwangen Degen über ihren Köpfen, hielten Kurzschwerter und Piken fest in Händen.
    Auf einmal war er es, der angegriffen wurde, er, Franz von Lorathot, und diese Tatsache traf ihn wie ein Faustschlag von urwüchsiger Gewalt. Hilflos zog er seinen Degen, doch noch immer stand er an Ort und Stelle. Fassungslos warf er den Kopf nach rechts und links.
    Um ihn herum sanken seine Männer, ebenso entsetzt wie er, zu Boden, sie starben oder sie flohen. Ein Degenhieb riss ihm den Hut vom Kopf. Sein Pferd stürzte neben ihm auf die Seite, getroffen von einer verirrten Kugel. Blut bespritzte seine von Staub bedeckte Kleidung. Er hatte das Gefühl, ein unendlich tiefer Abgrund würde sich vor ihm auftun, und dann tat er etwas, was er nie zuvor getan hatte – er rannte los, er rannte um sein Leben, so schnell ihn seine Beine trugen. Er sprang über Tote, duckte sich unter Schlägen weg, stürzte beinahe kopfüber in ein dichtes Gestrüpp, das ihn mit Dunkelheit empfing. Auf allen vieren, den Degen noch in der Faust, setzte er seine panische Flucht kriechend fort.
    Die Schreie wurden leiser, weniger zahlreich, der Gefechtslärm verebbte langsam, irgendwo da hinten, irgendwo in seinem Rücken. Das Gestrüpp gab ihn frei und er kam wieder auf die Beine, keuchend, immer noch erschrocken über sein kopfloses Handeln. Nie war er geflohen, niemals.
    Von der roten Sonne war nicht mehr viel übrig, weit entfernt am Horizont, lange bizarre Schatten formten sich überall um ihn herum, fast so schnell wie zuvor die Reiter. Franz von Lorathot blieb stehen.
    Einer dieser Schatten bestand aus Leben.
    Es war ein Reiter, der ihm den Weg abschnitt.
    Lorathot starrte ihn an.
    Der Mann saß auf einem Apfelschimmel, den er nun zügelte. Auch er hielt einen Degen in der Hand.
    »Ein prächtiges Reittier«, sagte Lorathot.
    Nils Norby nickte, ohne einen Ton zu äußern. Seine Augen waren stechend, ähnlich wie die von Lorathot selbst, sein blonder Schnurrbart zog sich hinab bis zu dem kantigen Kinn.
    »Ich könnte ein Pferd gut gebrauchen.« Lorathots Stimme klang spöttisch. Er empfand keinerlei Angst, im Gegenteil, er war erleichtert, nicht mehr fortlaufen zu können. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als zu kämpfen. Und das war ihm immer lieber gewesen.
    »Das Pferd gehört zum Besitz von Kurfürst Maximilian«, sagte Norby. Sein harter schwedischer Akzent war kaum mehr herauszuhören – ganz anders als bei ihrer letzten Begegnung vor Jahren.
    »Sieh an, dem Kurfürsten gehört es. Es ist gut, mächtige Freunde zu haben.« Der Feldmarschall zeigte das teuflische Grinsen, für das er berühmt war.
    »Ich habe keine Freunde. Jedenfalls keine mächtigen.« Der Schwede stieg ab, ohne Lorathot aus den Augen zu lassen. »Und auch keine Feinde. Nun ja, bis auf einen.«
    »Wie oft haben wir uns früher auf Schlachtfeldern gegenübergestanden? Es scheint unser Schicksal zu sein, immer wieder aufeinanderzutreffen.« In Lorathots Augen blitzte es auf. »Wir können wohl nichts dagegen tun.«
    »Doch«, erwiderte Norby ruhig. »Wir können etwas dagegen tun.«
    Langsam schritten sie aufeinander zu.
     
    *
     
    Hinter der massiven Tür wartete ein schlicht gehaltener rechteckiger Raum. Ein Steinfußboden, weiß getünchte Wände, an den wie verloren einige kleine Heiligenbildchen hingen. Obwohl es noch nicht dunkel war, brannten auf dem Holztisch, der den Mittelpunkt bildete, drei schwere, weiße Altarkerzen. Ansonsten war die blank gescheuerte Tischplatte leer. Rundherum standen aus demselben Holz gefertigte Stühle mit massiven Lehnen, die über die Kopfhöhe hinwegreichten.
    Mentiri und Bernina blieben stehen, seitlich der Tafel. Die beiden einzigen Fenster waren geschlossen, und obwohl kein Luftzug ging, tänzelten die Flammen der Kerzen ein wenig. Bernina hatte das Gefühl, außer ihnen beiden würde sich keine einzige Menschenseele hier befinden. Sie bekam eine Gänsehaut. Nicht nur Maximilian, auch dieses Zimmer hatte sie schon einmal gesehen – ohne je hier gewesen zu sein. Ja, sie hatte davon geträumt, von Maximilian und Mentiri und dem
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