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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung
Autoren: Lisa J. Smith
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könnte. Zerstörung von Eigentum. Vandalismus. Schlimmer als Graffitisprayer.
    Aber für Jenny und ihre Freunde galten die normalen Regeln längst nicht mehr. Sie befanden sich an keinem normalen Ort mehr, sondern an einem Ort, an dem alles geschehen konnte und die einzigen Regeln ihre eigenen waren. Es war beängstigend – aber auch ungemein befreiend. Jenny fühlte sich, als schwebe sie Tom auf Flügeln des Feuers entgegen.
    Du willst ihn mir wegnehmen, ja?, dachte sie und stellte sich Julians Gesicht dabei vor. Das glaube ich nicht. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, du hättest dieses Spiel nie begonnen.
    Dee musterte die Runen kritisch. »Also, was jetzt? Wie funktioniert es?«
    »Anscheinend ist es so, dass das, was in den Runen geschrieben steht, wahr wird«, erklärte Michael. »Wie damals, als wir für das erste Spiel unsere Albträume gezeichnet haben. Und dann wurden unsere Bilder wahr. Mit den Runen ist es genauso. Sie stehen für etwas, wie ein Bild für die Wirklichkeit. Du erschaffst das Bild als Stellvertreter, und es wird Wirklichkeit. Du veränderst die Wirklichkeit, indem du den Stellvertreter erschaffst.«
    »Das ist es auch, was Julian mir gesagt hat.« Jennys
Stimme war leise. »Als ich seinen Ring ansteckte und die Worte aussprach, habe ich mein eigenes Schicksal besiegelt. Die Worte wurden wahr, als ich sie sagte.«
    »Genau das müssen wir jetzt auch tun«, stellte Michael fest. »Die beiden ersten Schritte sind erledigt, wir haben die Runen geschnitzt und sie befleckt. Jetzt brauchen wir die Runen nur noch mit Macht aufzuladen, indem wir ihre Namen laut aussprechen. Das aktiviert sie, und dann …«
    »Und dann aufgepasst«, rief Dee, und ihre schwarzen Augen blitzten. »Lasst uns loslegen, Leute.«
    »Wir müssen zuerst noch unsere Sachen holen«, sagte Jenny aufgeregt. Sie konnte förmlich spüren, dass sich etwas zusammenbraute. Umso fester war sie entschlossen, Schritt für Schritt vorzugehen und nichts zu übereilen. »Wir wissen nicht, was geschieht, sobald diese Runen aktiviert sind – vielleicht werden wir keine Zeit mehr haben, um noch irgendetwas zu tun.«
    Also zogen sie sich um und holten alle Sachen aus dem Gepäck, die sie für ihr Vorhaben mitgebracht hatten. Als Jenny zur Tür zurückkam, trug sie Levis, eine Hemdbluse sowie einen Pullover und eine Windjacke darüber. Ihre Füße steckten in dicken Socken und Wanderstiefeln und an ihrem Gürtel hingen ein Plastikkanister mit Wasser und Lederhandschuhe. Alles war leicht und funktional. In ihrer Gürteltasche befand sich eine Mini-Überlebensausrüstung; in einer Blechtasse
steckte ein kleines, wasserfestes Streichholzbriefchen, etwas Toilettenpapier, eine Rettungsdecke, die zu einem zehn Zentimeter kleinen, flachen Quadrat zusammengefaltet war, zwei strapazierfähige Plastikbeutel, zwei Aspirin, ein Schokoriegel, drei Teebeutel, drei Bouillonwürfel und einige Sicherheitsnadeln. Daneben gut fünfzehn Meter Nylonschnur, zwei Energy-Riegel und eine Taschenlampe.
    Das Letzte, was sie einpackte, war Toms Schweizer Armeemesser mit dem roten Griff und den sechs ausklappbaren Werkzeugen.
    Sie hatten keine Ahnung, was sie in der Schattenwelt erwartete. Welche Art von Gelände, welche Art von Wetter. Durch das Fenster des Papierhauses hatte Jenny gewundene Felsen, endlosen Schneesturm und peitschende blaue und grüne Lichtblitze gesehen. Aber sah die ganze Schattenwelt so aus?
    Ich werde es herausfinden, dachte Jenny. Sehr bald schon. Wenigstens sind wir diesmal vorbereitet.
    Die anderen waren genauso gekleidet wie sie selbst. Sogar Audrey trug leichte Wanderstiefel und eine Nylonjacke. Dee hatte ihr Messer in eine schwarze Plastikscheide an ihrem Gürtel geschoben, wenngleich ihre tödlichsten Waffen ihre schlanken Hände und ihre Füße waren, die in knöchelhohen Turnschuhen steckten.
    Sie sahen einander schweigend an, dann wandten sie sich der Tür zu.

    Michael gab Jenny das Tagebuch. »Du solltest diejenige sein, die das tut.«
    Jenny holte tief Luft. Dann begann sie, die Namen vorzulesen.
    »Dagaz.« Rune des Erwachens. »Thurisaz.« Der Dorn. »Gebo.« Die Opferrune. Jennys Stimme begann zu zittern, und sie konnte kaum mehr atmen. Unbewusst hob sie die Stimme. »Isa.« Ureis. »Kenaz.« Urfeuer. Stakkatoartig zählte sie die Runen auf. »Raidho.« Reisen. Jennys Kehle war wie zugeschnürt, als sie jetzt den Kopf hob und die letzte Rune betrachtete. Ein schier endloser Moment verstrich.
    Jetzt. Jetzt ist
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