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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel
Autoren: Thomas Pynchon
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die Punschgläser schmuggelt ... nicht mal ein Araber Mit Einer Großen Fettigen Nase für dieses Spielchen, das jeder Tommy aus dem nostalgischen Song kennt ... Kein Wunder, daß sich an einem fliegenbeschissenen Nachmittag um vier etwas ereignete, das für Pirat zu einem üppigen orientalischen Abenteuer werden sollte: Während er gerade offenen Auges, im Gestank verfaulender Melonenschalen, der siebenundsiebzigmillionsten Wiederholung der einzigen Grammophonplatte dieses Außenpostens (Sandy MacPherson und seine Orgel spielen "The Changing of the Guard") lauschte, flankt er auch schon lässig und gekonnt über den Zaun und schnürt hinunter in die Stadt, geradewegs ins verbotene Viertel. Platzt dort in eine Orgie hinein, die ein Messias abhält, den noch keiner als solchen erkannt hat, und weiß, als sich ihre Blicke begegnen, daß er sein Johannes der Täufer ist, sein Nathan von Gaza, daß er derjenige sein muß, der ihn von seiner Göttlichkeit überzeugt, ihn den anderen verkündigt, daß er ihn lieben muß, auf weltliche Weise wie auch im Namen dessen, was er ist ... Wem anders konnte diese Phantasie gehören als H. A. Loaf! In jeder Einheit findet sich immer mindestens ein Loaf. Loaf ist es, der ständig vergißt, daß die vom muselmanischen Glauben nicht scharf drauf sind, auf der Straße photographiert zu werden ... Loaf ist es, der sich ein Oberhemd von einem borgt, worauf ihm die Zigaretten ausgehen und er todsicher diese eine Illegale in deiner Brusttasche findet, die er prompt am hellen Mittag in der Kantine anzündet, wo er alsbald mit einem seligen Lächeln herumtorkelt und genau den wachhabenden Feldwebel von der Militärpolizei beim Vornamen ruft. Ganz klar, als Pirat den Fehler macht, seine Phantasie mit Loaf zu bereden, daß es nicht lange dauert, bis die höheren Stellen von der Sache Wind bekommen. Das Phänomen landet in den Dossiers, und die Firma, stets unermüdlich auf der Suche nach nützlichen Talenten, läßt Pirat schließlich durch Whitehall abstellen, um ihn während seiner Trancezustände beobachten zu können, die ihn mitten durch boibespannte blaue Flächen und furchtbare, papierene Planspiele führen, seine Augen in die eigenen Höhlen gekehrt, wo sie alte, glyptische Graffiti schauen ...
    Die ersten paar Male kam es noch nicht zum Klappen. Die Phantasien waren okay, gehörten aber keiner wichtigen Persönlichkeit. Doch die Firma ist geduldig, an langfristige Planung gewöhnt. Endlich, an einem angemessen sherlockholmeshaften Londoner Abend, roch Pirat den unverwechselbaren Gasgeruch einer erloschenen Straßenlaterne, und aus dem Nebel vor ihm materialisierte sich ein gigantisches, organartiges Gebilde. Vorsichtig setzte Pirat einen schwarzbeschuhten Fuß vor den anderen und näherte sich dem Ding. Dieses begann, ihm entgegenzukriechen, langsam wie eine Schnecke, wobei es eine schleimige Lichtspur hinter sich auf dem Kopfsteinpflaster zurückließ, die unmöglich vom Nebel stammen konnte. Pirat, der schneller war, erreichte den Treffpunkt in der Mitte als erster. Entsetzt prallte er zurück - doch solche Augenblicke des Erkennens lassen sich nicht mehr ungeschehen machen. Das Gebilde war ein gigantischer Polyp, ein Rachengewächs! Mindestens so groß wie die St.-Pauls-Kathedrale! Und es wuchs von Stunde zu Stunde. London, vielleicht sogar ganz England, war in tödlicher Gefahr! Das lymphoide Monstrum hatte einst die distinguierte Pharynx von Lord Blatherard Osmo blockiert, der zu jener Zeit Beauftragter für Novi Pazar im Foreign Office wareine stille Buße für ein vergangenes Jahrhundert britischer Orientpolitik, denn von diesem obskuren Sandschak hatte einst das Schicksal von ganz Europa abgehangen:
    Wer weiß-schön, wo dieses Kaffüberhauptist, Und sowas startet dann so einen Mist!
    Die Montenegriner, und auch die Serben,
    Sie warten nur drauf, daß sie was erben, o Honey
    Pack mein Ränzel und bürst meinen Rock,
    Und entzünd mir *ne fette Zigarr Wülste meine Adreß,
    Schreib nur: Orient-Expreß,
    Zum Sandschak von Novi Pazar!
    Auftritt Revuegirls, lauter saftige, junge Weiber, die mit Husarenkalpaks und aufreizenden Reitstiefeln ausstaffiert sind und nun ein wenig herumtanzen, während in einer anderen Abteilung Lord Blatherard Osmo von seinem eigenen, wuchernden Rachenpolypen immer weiter Assimiliert wird - eine grausige Verwandlung von Zellplasma, der die gesamte edwardianische Medizin einigermaßen ratlos gegenübersteht... bald ist das Straßenbild von Mayfair mit
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