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Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Die Elefanten meines Bruders (German Edition)

Titel: Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
Autoren: Helmut Pöll
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gearbeitet hat. Mein Rentner hat ganz bestimmt an einer Bombe für den Hauptbahnhof gebaut. Schließlich habe ich ihn ja nicht umsonst beschattet und die Polizei alarmiert.
    Genau das machten mir aber meine Eltern jetzt zum Vorwurf. Am liebsten wäre ich davon gelaufen. Aber ich konnte nicht fliehen, ich konnte mich höchstens aus der Wohnung schleichen und mich einen Tag bei Mona im Kinderzimmer verstecken. Ganz bestimmt würde mich das Familiengericht verurteilen und ich müsste dann losziehen, um den wirklichen Bombenleger zu finden.
    Mein Vater hat schwache Nerven. Das kommt daher, dass er in der Arbeit immer irgendwelchen Heinis erklären muss, was sie tun sollen, damit ihre Firmen nicht den Bach runtergehen.
    „Hör zu“, sagte er.
    „Es gibt keinen Bombenleger. Der alte Mann ist ein Rentner, dessen Frau gestorben ist. Wir haben große Schwierigkeiten wegen dir bekommen. Wir müssen mit dir zum Jugendamt und den Polizeieinsatz wird man uns womöglich in Rechnung stellen. Aber damit uns der alte Herr nicht auch noch verklagt, werden wir alle gemeinsam zu ihm fahren und du wirst dich bei ihm entschuldigen.“
    Jetzt musste ich auf der Hut sein, damit die Falle nicht zuschnappte. Mein ADS-Hirn arbeitete fieberhaft, ich wollte schon aufspringen und in der Wohnung herumrennen, damit ich besser nachdenken kann, aber mein Vater roch den Braten, hielt mich ganz grob am Arm fest und drückte mich auf den Stuhl zurück.
    „Also los. Dann zieh dich jetzt an, wir fahren.“
    Er hatte mich überhaupt nicht gefragt, ob ich will. Meine Mutter hätte wenigstens gefragt, was hältst du davon? Dann hätte ich gesagt, dass die Zeit für mich arbeitet und früher oder später alle einsehen werden, dass ich recht hatte. Aber dann sei es vielleicht zu spät, weil die Bombe dann schon viele Kinder in den Tod gerissen hätte.
    Aber mein Vater sagte einfach, so und so ist es und los. Obwohl ich manchmal ziemlich mutig bin, hatte ich in solchen Momenten Angst vor meinem Vater. Oder sagen wir Angst vor seinen schlechten Nerven und einer möglichen Ohrfeige. Eigentlich müsste er in Therapie. So ein Antistress-Ding. Meine Ärztin, Frau Dr. Müller-Nöllendorf, die mich einmal die Woche durchcheckt wie einen Gaul, nennt das „therapiewürdig“. Ich frage sie nämlich manchmal, ob dieser oder jener, den ich aus dem Fernsehen kenne, gaga ist. Dann schiebt sie ihren großen Busen zurecht und meint:
    „Gaga sagt man nicht, man würde es therapiewürdig nennen.“
    „Therapiewürdig heißt, dass die Person einen Vollschaden hat, oder?“
    Frau Müller-Nöllendorf ist eine totale Spaßbremse. Der größte denkbare Freudentaumel bei ihr ist ein gequältes Lächeln.
    „Umgangssprachlich würde man es vielleicht so nennen“, sagte sie gequält, aber das sei ungerecht, weil viele gar nichts dafür könnten.
    „Bin ich auch therapiewürdig?“
    Das Verhör machte mir Spaß. Frau Müller-Nöllendorf war die Sache sichtlich unangenehm. Sie wand sich auf ihrem Stuhl wie eine kleine, dicke Ausgabe der Mowgli Schlange Kaa und ich hatte schon Angst, sie könnte mich mit ihren Blicken hypnotisieren. Aber sie sah mich gar nicht an, sondern schaute verlegen auf den Fußboden.
    „Ja, sonst müssten wir uns nicht treffen. Aber das ist nichts Schlimmes bei dir. Du bist nur ein wenig nervös.“
    „Ist Nervosität therapiewürdig?“
    „Nervosität alleine nicht.“
    „Das haben Sie aber gerade gesagt. Sie haben gesagt, ich bin nur ein wenig nervös, und deshalb therapiewürdig.“
    „Sei jetzt still und lass mich meine Arbeit machen.“
    Mona nennt Frau Dr. Müller-Nöllendorf meine Amtstierärztin und ich muss mir jede Woche eine Geschichte für Mona ausdenken. Mona fragt dann immer mit todernster Miene nach, bis wir beide losbrüllen und uns schreiend auf dem Teppich winden.
    Ich sage Mona zum Beispiel, dass mir die Amtstierärztin diese Woche ein Spezialserum spritzen wird, das meine Erinnerung an meine letzte Sechs in Geschichte auslöschen wird.
    „Oh, das ist aber nett. Kann ich das auch haben?“
    „Nur wenn du auch therapiewürdig bist.“
    „Wann ist man therapiewürdig?“
    „Wenn du mit elf noch ins Bett machst oder dein eigenes Kaka in die Steckdosen schmierst.“
    Was ich noch nicht einmal Mona gesagt habe, ist aber eine ganz andere Sache, die mir gerade einfällt. Ich habe mir nämlich überlegt, ob ich nicht Vegetarier werden soll. Ich weiß eigentlich gar nicht, was Vegetarier so essen und ob mir das Vegetarierzeugs schmecken
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