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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin
Autoren: Katharina Münk
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Vorbeigehen mit der flachen Hand über die Mahagoni-Verkleidungen der Abteiltüren. Gepflegte Patina, wohin er auch blickte. Es roch auch schon |27| ein wenig nach deftiger russischer Küche, die mit Sicherheit serviert werden würde, noch bevor sie das Moskauer Umland hinter sich gelassen hatten.
    Er hatte an nichts gespart, hatte lange geschwankt zwischen der Abteilkategorie »Nostalgie-Komfort« in einem Wagenteil, der unter Nikita Chruschtschow für die sowjetische Regierung gebaut worden war, und eben jener Bolschoi-Kabine, in der sie jetzt standen. Das war zwar die modernere, aber vor allem höchst zweckmäßige Variante, mit Kleiderschrank, eigener Dusche und genügend 22 0-Volt -Steckdosen für Fön und Handy-Aufladung. Der eigens für sie abgestellte Servicemitarbeiter war mit einer entsprechenden finanziellen Zuwendung zu absolutem Stillschweigen verpflichtet worden. Man war ja schließlich nicht irgendwer, auch wenn man so tat.
    Er schaute zu ihr hinüber: »Na, wie gefällt es dir?«
    »Oh, dies wird eine Reise voller Höhepunkte werden, und wir dürfen auf ihren Verlauf gespannt sein.« Sie stand noch ein wenig verloren in der Mitte des Abteils und schaute unschlüssig auf die sich gegenüber liegenden Sitzplätze. Er kannte das. Bevor sie gedanklich beim Worst-Case-Szenario (vorwärts fahren) ankommen würde, musste er sie unterbrechen. »Versuch dich doch einfach auf die positiven Aspekte eines Sitzes in Fahrtrichtung zu konzentrieren.«
    »Also, ich mag Rückwärtsfahren auch ganz gern. Hm.«
    Für solche Fälle gab es einfache Lösungsmöglichkeiten. Er nahm eine Münze und warf sie. Kopf. Sie würde vorwärts fahren müssen.
     
    Sie wusste, dass Bodega und sein Team so schnell nicht würden nachreisen können. Er würde es wahrscheinlich auch gar nicht wagen, wenn sie es nicht wollte, denn absolute Transparenz erforderte absolute Loyalität im engsten |28| Kreis. Das gesamte innere System hätte sonst gar nicht funktionieren können. Doch er war europaweit gut vernetzt, hätte die Staffel an seine russischen Kollegen abgeben können, für die allerdings die Transsibirische Eisenbahn mit einer inkognito reisenden Regierungschefin darin zu schön gewesen wäre, um wahr zu sein. Nein, so dumm würde er nicht sein. Und die Wege Sibiriens waren weit. Doch sie würden kürzer werden, wenn sie sich sie vornahm.
    »Herr Bodega, hallo? Schwimmen Sie noch? Gruß, die Ihrige«
    »Sie fahren aber nicht weiter in die Mongolei oder gar bis Peking? Bod«
    »Mongolei? Putscht die Opposition daheim? Gibt es Aufstände von sogenannten Parteifreunden, die sich in der Sommerpause in rote Sessel unter freiem Himmel setzen, sodass ich in der Mongolei Exil suchen müsste?«
    »Wo genau werden Sie den Zug verlassen?«
    »Also, ich glaube, es muss dann entschieden werden, wenn es entschieden werden muss. Gute Nacht, Herr Bodega!«
    »Gute Nacht, Chefin. Ich erwarte morgen früh weitere Informationen von Ihnen. Wer passt auf Sie auf? Bod«
    »Mein Mann.«
    »Hat er eine Nahkampfausbildung? Bod«
    »Ja, Herr Bodega, die hat er. Gute Nacht.«
     
    Sie nahm ein Glas Wein, das Barchef Anatol ihr im Halbdunkel serviert hatte, blickte aus dem Fenster und gab sich dem gleichförmigen Takt der Zugräder auf den Schienen hin. Jetzt würde sie erst einmal nur gucken, da sitzen bleiben, wo sie im Augenblick saß, und einfach nur gucken. Sie liebte Auslandsreisen, da waren die Leute netter zu ihr, und sie war netter zu den Leuten. Das ging wahrscheinlich vielen Menschen so, wenn sie einmal kurzzeitig aus der heimischen |29| Landkarte sprangen. Warum also wurde das bei ihr immer so betont? Da war man mal freundlich, und dann war das auch wieder nicht richtig. Allerdings konnte sie nicht leugnen, dass sie beim Reisen immer noch einen gewissen Nachholbedarf hatte. Da konnte man schon einmal ein wenig polyglott werden.
    Ihre Augen konnten mit der Geschwindigkeit des Zuges kaum mithalten, und so richtete sie den Blick weiter in die Ferne, dorthin, wo sich die Bilder nicht so schnell veränderten. Sie sog die Landschaft in sich auf.
    Die letzten Monate waren doch recht aufreibend gewesen, und sie sah beim besten Willen kein Licht am Ende des Tunnels. Die Zuversicht ließ sich nicht herbeireden, und selbst wenn, dann löste das noch lang keine Probleme. Nein, die Bürde der ganzen Wahrheit und mit ihr die verdammte Verantwortung hatte sie zu tragen. Und jetzt war sie nahezu am Ende ihrer Kräfte. Ein paar tausend Kilometer hatte sie schon
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