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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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weil sie ihn gemobbt haben?«
    »Äh, um das
richtigzustellen, ich bin mir keineswegs sicher, dass er die
Männer vorsätzlich umgebracht hat.« Dóra
lächelte verlegen. »Juristisch gesehen ist das nicht
eindeutig, obwohl man nach isländischem Gesetz so
argumentieren könnte. Moralisch gesehen steht es außer
Frage, obwohl nicht eindeutig nachweisbar ist, dass er sich
über die Folgen seines Handelns bewusst war.«
    »Wir sind hier nicht vor
Gericht. Sagen Sie mir einfach, was der Mann Ihnen erzählt
hat. Über die Schuldfrage müssen andere
entscheiden.«
    »Es hängt mit diesem
seltsamen Knochenbingo zusammen, von dem ich Ihnen erzählt
habe. Die Männer, die auf der Hundeinsel gefunden wurden,
wollten unbedingt den Schädel als Schreibtischdekoration
haben. Als sie den Hauptgewinn nicht bekommen haben, waren sie
enttäuscht und haben sich beschwert. Die anderen haben die
Knochen einfach in ihre Schubladen gelegt und darauf gewartet, dass
sich die beiden wieder beruhigen. Alle hatten genug von dem
Theater. Vermutlich ist alles, was nach der Abreise des Teams
passiert ist, auf die kindische Enttäuschung der beiden
Arbeiter zurückzuführen. Beim Bohren sind sie auf eine
Leiche gestoßen. Bei einem Höhleneingang im verbotenen
Gebiet haben sie sie unter dem Eis durchschimmern sehen und nach
längerem Überlegen beschlossen, sie auszugraben und ins
Camp zu bringen, um später ihre Kollegen damit zu erschrecken
oder anzugeben. Außerdem haben sie ein paar alte
Gegenstände im Eis gefunden, von denen sie dachten, sie seien
wertvoll. Diese Dinge haben wir Ihnen ja bereits übergeben,
darunter auch die kleine Statue, von der die Männer glaubten,
es wäre ein echter Tupilak. Sie waren natürlich sehr
aufgeregt, weil keine ursprünglichen Tupilaks erhalten sind.
Sie kannten die Geschichte der Gegend ziemlich gut und dachten, der
Eismann wäre einer der ersten Siedler, die damals verhungert
sind, mitsamt dem Tupilak, der die Siedlung ins Verderben gerissen
hat.«
    »Und das hat Arnar Ihnen
alles erzählt?«
    »Ja, er weiß es von
Bjarki. Aber dazu komme ich gleich.« Nach einer kleinen Pause
setzte Dóra ihren Bericht fort: »Weil es schwierig
war, den Mann aus dem Eis zu lösen, haben sie den Bohrer zu
Hilfe genommen. Erst haben sie das Eis um die Leiche herum
zerkleinert, aber sie steckte immer noch fest, und sie konnten den
Bohrer nicht unter ihr ansetzen. Dann sind sie auf die Idee
gekommen, den Körper zu durchbohren und die Leiche
herauszustemmen.« Dóra hielt kurz inne. »Da sie
das Skelett möglichst nicht beschädigen wollten, haben
sie versucht, den Bohrer so anzusetzen, dass die Wirbelsäule
nicht zerstört wird. Das entspricht dem Loch im
Lungenflügel.«
    »Warum haben sie denn
nicht den Magen oder die Bauchhöhle durchbohrt? Dann
wären die Rippen heil geblieben.« Der Polizist stellte
dieselben Fragen wie Dóra. Es war einfach leichter, die
Geschichte zu verkraften, wenn man versuchte, sich die Details
vorzustellen.
    »Laut Arnar mussten sie
ein paar Rippen opfern, wenn sie nämlich den Bauch durchbohrt
hätten, wäre der Bohrer auf der anderen Seite sofort
wieder rausgekommen. Die Rippen haben Halt gegeben. Das ist also
die Erklärung für das Loch in der Leiche. Sie haben den
Mann dann in den Kühlraum gebracht und sich überlegt, was
sie mit ihm machen sollten.«
    Der Stift des Polizisten flog
über die Seite. Bevor er umblätterte, las er quer, was er
schon geschrieben hatte. »Und was ist dann
passiert?«
    »Erst mal gar nichts, sie
haben die Leiche aus dem Eis gestemmt und in den Kühlraum
gebracht. Am nächsten Tag hat sich Halldór ein bisschen
schlapp gefühlt, und zwei Tage später war er richtig
krank. Erst dachten sie, es wäre nur eine Grippe.
Halldór hat sich mit Schmerztabletten vollgepumpt, aber es
wurde immer schlimmer. Zwei Tage später hatte Bjarki dieselben
Symptome. Zu dem Zeitpunkt hat Bjarki schon vermutet, dass
Halldór ernsthaft erkrankt war. Er hat im Internet
recherchiert, aber nichts gefunden, was zu den Symptomen passte. Am
Ende hatte Halldór Blutungen am Kopf, er hat aus Augen,
Ohren, Mund und Nase geblutet und ist blau angelaufen. Bjarki hat
ihn dann aus seiner Wohnung rüber ins Bürogebäude
geschleppt und ihn vor die Videokamera gesetzt. Er wollte ihn
filmen, um ihn einem Arzt zeigen zu können. Das war
spätabends. Bjarki hatte selbst schon hohes Fieber, und dann
ist Halldór auch noch vor der Kamera bewusstlos geworden.
Bjarki ist durchgedreht, vielleicht war er im
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