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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin
Autoren: Anne Cassidy
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sie nur mit ihrer Mutter gegangen, im Auto oder zu Fuß neben dem Kinderwagen. Ihre Mutter hatte sie nie auf der Straße spielen lassen, das wusste sie, Jessica hatte es ihr erzählt. Grace hat dich nie aus den Augen gelassen. Und dann war Lauren mit sieben Jahren aus ihrem Londoner Leben gerissen und nach Cornwall verpflanzt worden. Jetzt, zehn Jahre später, hatte es sie wieder hierher zurückverschlagen.
    Sie bog in die Hazelwood Road ein. Es war ganz anders als an dem dunklen, verregneten Abend ein paar Tage zuvor. Da war alles düster und still gewesen. Jetzt, um kurz nach vier Uhr nachmittags, war es hier bunt, laut und lebendig. Schulkinder alberten auf dem Heimweg auf dem Bürgersteig herum. Sie ging langsam weiter und sah sich aufmerksam um. Sie kam an einer Arztpraxis und einem kleinen Mehrfamilienhaus vorbei. Auf der anderen Straßenseite war eine Bushaltestelle. Ein paar Jugendliche und ein alter Mann mit einem Hund warteten dort. Ein Stück weiter standen Reihenhäuser. Sie war etwa fünfzig Meter von ihrem alten Haus entfernt. Dieses Mal blieb sie auf der richtigen Straßenseite und ging mit gesenktem Kopf weiter, bis sie sich direkt davor befand.
    Sie blieb stehen und schaute es an. Jetzt, bei Tageslicht, sah es verwahrlost aus. Sie schaute sich um. Die benachbarten Häuser waren in gutem Zustand, aber dieses – ihr Haus – war heruntergekommen, seit langer Zeit hatte sich niemand darum gekümmert. Der Lack der Fensterrahmen war abgeplatzt und die Fenstersimse im Erdgeschoss bröckelten. Das Seitenfenster im vorderen Erker hatte einen großen Sprung, der mit Klebeband zusammengehalten wurde. Die Haustür war aus Holz und hatte keine Fenster. Sie war grün. Lauren konnte die Pinselstriche erkennen, mit denen man sie eilig bemalt hatte. Die Hausnummer 49 war aus billigen Plastikziffern, die 9 hing ein Stück zu tief. Neben der Tür befanden sich drei Klingeln, die noch aus der Zeit stammen mussten, in der das Haus in drei Mietwohnungen unterteilt gewesen war. Jetzt wollte eine einzelne Familie es renovieren. Den Sohn hatte Lauren vor zwei Wochen schon gesehen, als er von einer Reise zurückgekommen und aus dem Taxi gestiegen war.
    Sie betrachtete die Fläche vor dem Haus, wo früher einmal der Vorgarten gewesen war. Die Mauer, die früher um das Grundstück herumführte, war eingerissen und der Boden zur Straße hin abgesenkt worden. Die Fläche schien als Parkplatz genutzt zu werden, auch wenn es dort im Augenblick keine Autos gab. Sperrmüll stand herum, Berge von Einbauschränken, die aus dem Haus entfernt worden waren, Holzbalken, Regale, leere Kartons. Dahinter lagen eine Badewanne und zwei Duschwannen. Neben der Haustür stand eine grüne Mülltonne. Als sie das erste Mal hier gewesen war, war ihr das alles nicht aufgefallen. Das Durcheinander vor dem Haus war von der Dunkelheit versteckt worden.
    Plötzlich bewegte sich etwas unter der Badewanne. Eine große gelbe Katze streckte sich darunter hervor und machte sich ganz lang. Als sie aufrecht stand, schien der Körper wieder in Form zu rutschen und das Fell sträubte sich. Sie hob eine Pfote und leckte sie, ohne sich um Lauren zu kümmern. Lauren dachte an Kleopatra, die zu Hause auf sie wartete. Heute Morgen hatte Jessica den Pappkarton in der Küche leer vorgefunden. Einen Moment lang war sie panisch gewesen. Aber dann hatten sie Kleopatra und die Kätzchen in der Nische zwischen dem Sofa und den Gardinen entdeckt. Kleopatra war nachts mit ihnen umgezogen. Das ist ihre Art, sie vor Feinden zu schützen , hatte Jessica gesagt, und die Erleichterung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
    Die gelbe Katze machte einen eleganten Sprung auf die Mülltonne und drehte Lauren den Rücken zu. Plötzlich kam sie sich albern vor. Sie drehte sich um und blickte die Straße hinunter. Was machte sie hier? Sie war zu nah dran, es war zu viel, sie brauchte mehr Entfernung zwischen sich und dem Haus. Sie lief zehn Schritte, zwanzig. Sie überquerte die Straße und ging auf der anderen Seite langsam zurück. Von dort aus schaute sie wieder zum Garten und zum Haus hinüber. Jetzt sah es einfach aus wie jedes andere. Ziegelsteine und Mörtel, ein freistehendes dreistöckiges Haus.
    Ihre Augen wanderten zum Seiteneingang, der hölzernen Pforte, die zum hinteren Teil des Gartens führte. Als sie hier gewohnt hatte, hatte ihre Mutter durch diese Pforte immer die Mülltonne gezogen. Ob es damals auch so eine grüne Tonne gewesen war? Sie konnte sich nicht erinnern.
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