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Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Titel: Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.
Autoren: Alan Sillitoe
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Hosentaschen, als ob sie ratzekahl leer wären, den Kopf vorgebeugt, als suche er Halbkronenstücke auf der Straße, um sich die Taschen damit zu füllen, eine zerrissene Strickjacke an und die Haare vorn runter bis in die Augen, und so hat er Frauen angesprochen und um einen Shilling gebettelt, weil er angeblich Hunger hat -, und ich sei der Kopf gewesen bei dem Ding, ich hätte die ausschlaggebende Stimme, wenn jemand überredet werden mußte, aber ich schwöre bei Gott, das stimmt einfach nicht, weil ich wirklich nicht mehr Verstand als eine Mücke besitze, wo ich das Geld an so einer Stelle verstaut hab. Und ich wurde - weil ich so behämmert bin - ins Borstal gesteckt, denn, um ganz offen zu sein, im Erziehungsheim war ich schon vorher gewesen - aber das ist eine ganz andere Geschichte, und die ist, falls ich die je erzähle, glaub ich, genauso langweilig wie die hier. Daß Mike mit dem blauen Auge davongekommen ist, darüber war ich allerdings froh, und ich hoffe nur, es geht ihm immer so und nicht wie mir dummem Hund.

    An dem nebligen Abend haben wir uns also vom Fernseher
    losgerissen, knallten die Tür hinter uns zu und zogen unsre breite Straße rauf wie zwei langsame Flußschlepper mit kaputter Sirene, denn wir hatten keine Ahnung, wo in dem verdammten kalten Nebel um uns rum die Häuser anfingen. Ohne Mantel konnt ich mir den Tod holen; in dem Durcheinander beim Einkaufen hat Mama vergessen, mir einen zu kaufen, und wo's mir einfiel, sie dran zu erinnern, waren die Moneten alle. Also pfiffen wir das›Teddyboys Picknick‹, um uns warm zu halten, und ich sagte mir, ich besorg mir bald einen Mantel, und wenn ich dabei baden geh. Mike sagte, er hat auch dran gedacht, und meinte weiter, daß er sich auch eine nagelneue Brille mit goldner Fassung besorgen will, anstelle des Drahtgestells, das sie ihm vor Jahren in der Schulklinik gegeben haben. Zuerst hat er gar nicht mitgekriegt, daß es neblig war, und jedesmal, wenn ich ihn vor einem Laternenpfahl oder einem Wagen zurückriß, putzte er sich die Brille, aber wie er sah, daß die Lichter auf der Alfreton Road wie Krakenaugen glotzten, steckte er sie ein und setzte sie nicht mehr auf, bis wir das Ding drehten. Wir hatten miteinander keine zwei Halfpennies, und obwohl wir keinen Hunger spürten, haben wir doch gewünscht, wir hätten ein, zwei Shilling, als wir an den Fischbratküchen vorbeikamen, weil uns bei den köstlichen Düften von Salz, Essig und Bratenfett das Wasser im Munde zusammenlief. Ich will euch auch nicht verheimlichen, daß wir durch die ganze Stadt spaziert sind, von einem Ende zum andren, und wenn wir die Augen nicht auf der Erde hatten, wo sie nach verlorenen Brieftaschen und Uhren suchten, dann schielten sie nach offenen Fenstern und Ladentüren, ob nicht irgendwo was Lohnendes leicht zu klemmen war.

    Keiner von uns hat was in der Richtung zum andren gesagt, aber ich weiß genau, daß das unsre Gedanken waren. Was ich nicht weiß - und so wahr ich hier sitze, werde ich das wohl nie wissen -, ist, wer von uns beiden Dreckskerlen der erste war, der seine Blinker auf den Hof der Bäckerei gerichtet hat. O ja, schön und gut, daß ich mir sage, ich war's, aber in Wirklichkeit bin ich eben nicht dahintergekommen, ob es Mike war oder nicht, denn ich weiß nämlich, daß ich das offene Fenster erst gesehn habe, als er mir in die Rippen puffte und hinzeigte.

    »Siehst du das?« sagte er.

    »Ja«, sagte ich zu ihm, »also los, Tempo.«

      »Aber was ist mit der Mauer?« flüsterte er und guckte näher hin.

    »Auf deine Schultern«, stieß ich raus.

      Seine Augen waren schon oben: »Reichst du bis da rauf?« Das war aber das einzige Mal, daß er je Leben verriet.

      »Überlaß das mir«, sagte ich, immer sprungbereit. »Von deinen speckgelenkigen Schultern erreich ich alles.«

    Mike war ein Küken gegen mich, aber unter der
    schmuddeligen karierten Strickjacke, die er trug, saßen ein paar Muskeln hart wie Stahl, und wenn er so mit Brille und Hände in den Taschen die Straße lang kam, würde man glauben, er könnte keiner Fliege was zuleide tun, aber bei einer Schlägerei hab ich nie gern auf der falschen Seite von ihm gestanden, weil er nämlich von der Sorte ist, die ganze Wochen hintereinander kein Wort sagt - wie angenagelt vorm Fernseher sitzt oder einen Cowboy-Schmöker liest oder einfach pennt -, bis er plötzlich - krach - jemand halb totschlägt, wegen einer Lappalie, wie zum Beispiel, weil ihm einer Samstagabend die
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