Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Titel: Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.
Autoren: Alan Sillitoe
Vom Netzwerk:
eilig.«

    »Nicht sehr«, sagt er über die Schulter zu mir.

      »Monate haben wir Zeit, um den Zaster zu verpulvern«, flüsterte ich, als wir über den Hof gingen, »laß bloß das Tor nicht so laut knarren, sonst stellen die Spione ihre Geräte auf die Wellenlänge ein.«

      »Du denkst wohl, ich bin blöd?« sagte er und ließ das Tor knarren, daß es die ganze Straße hörte.

      Ich weiß nicht, wie's bei Mike war, aber ich fing jetzt an nachzudenken, wie wir mit der Kassette unter meinem Pullover sicher durch die Straßen kommen würden. Weil er sie mir in die Hand gedrückt hatte, sobald wir auf der Hauptstraße waren, was bedeuten konnte, daß er auch angefangen hatte nachzudenken, und das beweist eben, daß man nie weiß, was in einem andren vorgeht, wenn man nicht selber über die Dinge nachdenkt. Aber soweit mein Nachdenken zu dem Zeitpunkt ging, war es damit nicht weit her; es war hauptsächlich leichte Angst, die sich nicht mal mit einer heißen Lötlampe vertreiben ließ, Angst, was wir sagen sollten, falls uns ein Bulle fragt, wo wir mit dem Buckel auf meinem Bauch hin wollten.

    »Was ist das?« würde der fragen, und ich würde antworten: »Eine Geschwulst.« - »Was meinst du mit Geschwulst, alter Knabe?« würde er argwöhnisch erwidern. Ich würde husten und mich winden, als hätt ich die gedärmverschlingendsten Schmerzen der Welt, und die Augen verdrehn, als war ich auf dem Weg ins Krankenhaus, und Mike würde meine Arme nehmen, als wär er mein allerbester Freund. »Krebs«, würde ich grade noch rauskriegen, und da würde dem Spion mit der trüben Mattscheibe ein Verdacht kommen. »Ein Junge in deinem Alter?« Da würde ich wieder stöhnen, damit er sich hoffentlich wie ein richtiger Dreckskerl von Kraftmeier vorkommt, was allerdings unmöglich ist, aber jedenfalls: »Liegt in der Familie. Vater ist letzten Monat dran gestorben, und so wie ich mich fühl, sterb ich nächsten Monat dran.« - »Was, saß es bei dem im Leib?« - »Nein, in der Kehle. Aber ich hab's im Bauch.« Stöhnen und Husten. »Na, wenn du Krebs hast, solltest du nicht draußen rumlaufen, da solltest du im Krankenhaus liegen.« Jetzt wurde ich grantig: »Da will ich ja hin, wenn Sie mich bloß lassen und aufhören würden, mir die ganzen Fragen zu stellen. Nicht wahr, Mike?« Ein Grunzer von Mike, wie der Bulle den Knüppel losschnallt. Dann grade zur rechten Zeit würde er zu uns sagen, wir sollten machen, daß wir weiterkommen, besorgt und freundlich plötzlich, und daß die Ambulanz im Krankenhaus um zwölf zumacht und ob er uns nicht besser eine Taxe rufen soll? Das würde er tun, wenn wir wollen, sagt er, und er würde sie auch bezahlen. Aber wir sagen ihm, er braucht sich nicht zu sorgen und daß es sehr anständig von ihm sei, noch dazu als Polizist, aber daß wir sowieso einen kürzeren Weg wissen. Aber grade, wie wir um die Ecke biegen, fährt's ihm durch den dämlichen Dickschädel, daß wir in entgegengesetzter Richtung laufen, und er ruft uns zurück. Deshalb würden wir anfangen zu rennen... wenn man das alles als Nachdenken bezeichnen kann.

    Oben auf meinem Zimmer knackt Mike mit Hammer und Meißel die Kassette auf, und ehe wir uns versehn, haben wir jeder achtundsiebzig Pfund, fünfzehn Shilling und viereinhalb Pence, die auf meinem Bett ausgebreitet liegen wie ein gedeckter Teetisch zu Weihnachten: Kuchen und Kringel, belegte Brote mit Beilage, Marmeladentörtchen und Schokoladenriegel, alles zwischen Mike und mir gerecht geteilt, weil wir für gleichen Lohn für gleiche Leistung waren, genau wie die Genossen, zu denen Papa gehört hat, bis er keinen Handschlag mehr arbeiten konnte und ihm die Luft zum Diskutieren ausging. Ich dachte, wie gut, daß solche Kerle wie der armselige Bäcker ihre Groschen nicht auf eine der großen Banken schaffen, die mit ihren Marmorfassaden an jeder Straßenecke stehn; zum Glück für uns hat er denen nicht getraut, egal, aus wieviel Tonnen Beton und wieviel Stahlschranken und schränken sie bestanden und wie viele Bullen ihre blauen, glotzäugigen Blinker drauf geheftet hatten; wie prächtig, daß er noch für Geldkassetten war, wo das schon viele Geschäftsleute als altmodisch betrachteten und modern sein wollten, indem sie zu einer Bank gingen, die ein paar ehrlichen, anständigen, schwer arbeitenden, gewissenhaften Burschen wie Mike und mir keine Chance geben.

      Nun würdet ihr meinen, und ich würde meinen, und jeder mit einem bißchen Phantasie würde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher