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Die Einsamkeit des Barista

Die Einsamkeit des Barista

Titel: Die Einsamkeit des Barista
Autoren: Marco Malvaldi
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sollte. In dieser Gegend hatte bis vor einigen Jahren stets der Kandidat der moderaten Linken gewonnen, mit Ergebnissen, wie sie früher nur in Bulgarien möglich waren, unabhängig davon, um welches Amt es ging. Doch seit einiger Zeit änderten sich die Dinge. Nicht etwa, dass die Einwohner Pinetas scharenweise konservativ geworden wären, nein, Politik interessierte sie nur schlicht und einfach nicht mehr die Bohne. Die vorherrschende Meinung war, dass sowieso jeder, der nach Rom geschickt wird, tendenziell ein Schurke ist, und falls er es im Augenblick der Wahl noch nicht sein sollte, es beizeiten würde, sobald er bemerkt, wie weich und komfortabel die Sessel dort sind und wie ärgerlich und unbequem das wirkliche Leben.
    Daher drehte sich in der derzeitigen Runde der Wahlkampf mehr um moralische Fragen als um die politische Zugehörigkeit. Die Erinnerung an die unglaublich schlechte Figur, die Fioramontis Partei gemacht hatte, war in der Tat noch viel zu frisch, als dass die Wähler sie ignorieren konnten, die ja in der Tat jedwede Schweinerei vergessen können, wenn man ihnen nur genug Zeit dazu lässt. In Anbetracht der Folgen des Fioramonti-Skandals und beim Versuch, diese einzudämmen (seitens der Linken) oder Kapital daraus zu schlagen (seitens der Rechten), hatten alle bedeutenden Parteien Kandidaten zur Wahl gestellt, die eine saubere Weste und einen Ruf von etwa vergleichbarer Rechtschaffenheit aufzuweisen hatten.
    Die gemäßigte Linke hatte ihr Schicksal in die Hände von Stefano Carpanesi gelegt, einem stolzen Spross der Parteischule, der miterlebt hatte, wie die Farbe der eigenen politischen Ideen mit dem Verstreichen der Jahre und dem konstanten Verbleichen der Sonne der Zukunft, die die Linke in ihrem Banner trug, nach und nach verwässerte. Nach Aussage seiner Freunde war er ein Idealist: ein Mensch, der sich seine Jugendträume bewahrt hatte, auch wenn die Realität dagegen arbeitete. Nach Aussage seiner Feinde war er ein Idiot. Ein dermaßener Idiot, dass er nicht in der Lage war, sich seinen Lebensunterhalt auf anständige Weise zu verdienen, und daher zwangsläufig in die Politik gehen musste. Wie auch immer, Carpanesi war frei von Vorstrafen und niemals Gegenstand irgendwelcher Ermittlungen gewesen oder verklagt worden; anständig folglich nicht nur, weil er nie irgendetwas Unanständiges begangen hatte, sondern auch, weil ihn nicht einmal der Hauch eines Verdachtes gestreift hatte.
    Die gemäßigte Rechte hingegen setzte auf Pietro Di Chiara, den bekannten und geschätzten Pädiatrieprofessor, der sich bereits vor Jahren den Ruf erworben hatte, unbestechlich zu sein, als er eine Berufung auf eine C2-Professur ausgeschlagen hatte, die etwas skandalöser als gewöhnlich war. Er hatte die Missstände deutlich und mit konkreten Beweisen angeprangert, auch wenn klar war, dass er selbst nichts davon hatte, außer seiner vom Groll angefressenen Seele etwas Erleichterung zu verschaffen. Das Zeugnis der Ehrenhaftigkeit wurde ihm folglich aufgrund seiner Geißelung der Unehrenhaften verliehen: eine seltsame und nicht immer unfehlbare Methode, die aber in Italien gewöhnlich gut funktionierte.
    Das sogenannte christliche Zentrum schickte den Notar Stefano Aloisi ins Rennen. Eine farblose Erscheinung aus vergangenen Zeiten, Loden im Winter und gestreiftes Hemd im Sommer, kompetent, unerhört schweigsam und (nach Aussage aller) unbestechlich, tadellos und jedem Kompromiss abhold. Wie gesagt – eine Erscheinung aus vergangenen Zeiten.
    Daher wartete heute das gesamte Personal der Bar gespannt auf den Bericht aus Pineta, der die starken Kandidaten der Nation präsentieren würde. Wie in überregionalen Sendungen üblich, wurde der Nachrichtenteil nicht mit Politik eröffnet; erst kam der Krieg, es folgten die Gesellschafts- und Verbrechensmeldungen und schließlich der Papst. Danach – die Politik. Diese Gewichtung wurde natürlich vom Senat kommentiert, allerdings in Worten, die hier leider nicht vollständig wiedergegeben werden können: Es würde an Verunglimpfung grenzen. Doch nach diesem Beitrag erschien endlich die Uhr des Imperiale im Bild, die seit Jahren schon zum Symbol dieses Küstenstreifens geworden war. Gleichzeitig erklang die Stimme des Journalisten, und der Bericht begann.
    »Eine Woche vor Öffnung der Wahllokale steht die Lage im infolge der Affäre Fioramonti verwaisten Wahlkreis 86 mehr denn je auf der Kippe. Den letzten Umfragen zufolge liegt der Mitte-Links-Kandidat Stefano
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