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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten
Autoren: S Booth
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an die Anordnungen gehalten. Zum größten Teil jedenfalls. Er hatte nachgeforscht, ob Emma bereits früher ein ähnliches Verhalten an den Tag gelegt hatte, und hatte die Informationen zur Person der Vermissten, die er von den Eltern erhalten hatte, mit ihren Unterlagen verglichen. Er hatte ausgeschlossen, dass Emma in irgendwelche kriminellen Machenschaften verwickelt war, für den Fall, sie hätte sich aus dem Staub gemacht, um der Strafverfolgung für etwas zu entgehen, wovon die Eltern keine Ahnung hatten. Er hatte alle notwendigen Details für eine Identifizierung zusammengestellt, hatte ihren vollständigen Namen, ihr Alter, ihre Adresse und ihre Beschreibung notiert und die zwei Fotos dazugeheftet, die er von den Renshaws erhalten hatte.
    »Aber wenn Emma plante, mit dem Zug nach Hause zu fahren, wie wollte sie dann zum Bahnhof kommen?«, fragte Fry.
    »Mit dem Taxi – jedenfalls sagte sie das zu ihren Mitbewohnern. Die Beamten in West Midlands konnten jedoch keinen Taxifahrer ausfindig machen, der sie von ihrem Haus in der Darlaston Road abgeholt oder irgendwo in der Nähe aufgenommen hätte. Es gab in dieser Gegend auch keine Vorbestellung für einen Wagen, bei dem der Fahrgast nicht aufgetaucht wäre. Aber ich vermute, sie könnte auch auf der Straße ein Taxi angehalten haben.«
    »In der Gegend ziemlich unwahrscheinlich.«
    Hitchens nickte. »Aber die Kollegen in West Midlands haben auch das überprüft.«
    »Es wundert mich, dass Neil Granger ihr nicht angeboten hat, sie zum Bahnhof mitzunehmen. Wenn er schon mit dem Wagen fuhr.«
    »Er sagte, er habe es deswegen nicht getan, weil er bereits zu spät dran gewesen sei und Angst gehabt habe, Ärger zu bekommen. Und Emma habe ihm glaubwürdig versichert, dass es nicht notwendig sei, sie mitzunehmen.«

    »Hat er gesagt.«
    Fry wandte sich wieder den Aussageprotokollen zu. Man hatte Nachforschungen in mehreren Pubs und Clubs angestellt, in denen Emma verkehrte. Man hatte mit Freunden und Kommilitonen gesprochen. An der Universität war nicht bekannt, dass Emma Probleme mit ihrer Arbeit gehabt, sich in emotionalen oder finanziellen Schwierigkeiten befunden oder gar die Absicht gehabt hätte, das Semester abzubrechen. Am Schluss des Berichts des Polizeibeamten befand sich eine Notiz, dass die Eltern der Vermissten mit einer Veröffentlichung der Daten einverstanden seien.
    Auf den ersten Blick machte alles einen recht schlüssigen Eindruck. Sicher hatte es nur wenige Anhaltspunkte gegeben, die die Polizei von West Midlands hätte verfolgen können, aber die üblichen Nachforschungen waren angestellt worden. Niemand hatte einen triftigen Grund angeben können, weshalb Emma beschlossen haben könnte, zu verschwinden, oder irgendwelche Sorgen, die sie belastet hätten. Niemand hatte eine Ahnung, wo sie hätte hinfahren sollen, außer natürlich nach Hause, nach Withens.
    »Wir werden noch mal mit ihren Mitbewohnern sprechen müssen«, sagte Hitchens. »Alex Dearden lebt und arbeitet hier in Edendale. Neil Granger ist auch von Withens weggezogen, aber nicht weit, nur ein paar Meilen das Tal von Longdendale hinunter, nach Tintwistle. Debbie Stark, fürchte ich, ist in West Midlands geblieben. Sie hat dort nach ihrem Studienabschluss eine Stelle gefunden.«
    »Na, sie hätten auch in alle Himmelsrichtungen verschwinden können«, meinte Fry. »Wir können noch von Glück reden.«
    Aber für Frys kritisches Auge ließen die Unterlagen der Polizei von West Midlands doch einiges vermissen. So schien der Fall keinerlei Dringlichkeit gehabt zu haben. Die Untersuchungen hatten sich über einen längeren Zeitraum hingezogen – genauer gesagt, über mehrere Wochen. Es machte den
Eindruck, als hätte der mit dem Fall betraute Beamte die Arbeit daran immer irgendwie dazwischengeschoben, wenn es gerade zeitlich gepasst hatte. Es war auch nirgends ein Hinweis auf Unterstützung von Seiten der örtlichen Kripo zu finden. Nicht ein Name eines Kriminalbeamten tauchte in einem der Untersuchungsberichte auf.
    Eigentlich überraschte Fry das nicht. Im Großraum einer Stadt wurden jedes Jahr Tausende von Personen als vermisst gemeldet. Fälle von Frauen unter einundzwanzig Jahren wurden zwar vorrangig behandelt, aber wie viele waren das? Und wie viele Kinder und junge Leute? Vermisste Kinder standen ganz oben auf der Prioritätenliste der Polizei. Wie viel Aufmerksamkeit konnte sich da Emma Renshaw erwarten, wenn kein Hinweis auf ein Verbrechen vorlag? Und das angesichts der
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