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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten
Autoren: S Booth
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vermutete aber, dass sie ein schwaches Lamm im Visier hatten. Vor der Schur kam für die Krähen manchmal auch ein ausgewachsenes Schaf als Beute in Betracht, nämlich dann, wenn es umgekippt war und unter dem Gewicht des Fells aus eigener Kraft nicht mehr auf die Beine kam. Aber im Frühjahr waren es die frisch geworfenen Lämmer, weshalb die Krähen flügelschlagend über dem Moor kreisten. Im Moment mussten sie sich wahrscheinlich mit jungen Moorschneehühnern und dem Gelege anderer Vögel zufrieden geben. Aber ein schwaches Lamm wäre eine schöne Bereicherung ihres Speisezettels. Sein Kadaver würde sie tagelang ernähren.
    Hatten sie ein Lamm gesichtet, ließen sie sich auf einem Felsen in der Nähe nieder und warteten geduldig, bis es schwach und hilflos war. Dann begannen sie mit ihrer Arbeit. Sie machten sich zunächst über seine Augen her und hackten auf das weiße Fleisch ein, ein Leckerbissen, der unbedingt frisch verzehrt werden musste. Sobald das Lamm blind war,
konnten sich die Krähen in aller Ruhe den Rest des Tieres einverleiben, während es verendete.
    Cooper ließ sein Fernglas sinken und richtete seinen Blick auf das dunkle Massiv der Berge hinter Withens.
    »Tracy, haben Sie schon den Rauch dort drüben bemerkt?«, fragte er.
    Udall folgte seinem Blick. »Mist!«
    Schwarze Wolken ballten sich über einem breiten Streifen des Moors zusammen, und hier und da schlugen sichtbar Flammen daraus empor. Der Brandherd schien sich genau unterhalb des Horizonts zu befinden. PC Udall lief zum Wagen, um über Funk Bescheid zu geben, war aber bereits nach wenigen Minuten wieder zurück.
    »Feuer im Moor. Die Zentrale glaubt, dass ein paar Kids aus Manchester auf Schulausflug gezündelt haben. Die Feuerwehr schickt alle Löschmannschaften her, die sie zusammentrommeln kann, aber es brennt genau auf dem Gipfel oberhalb von Crowden, und da kommt man kaum ran. Die Feuerwehrleute, die armen Teufel, werden die letzte halbe Meile mit ihrer Ausrüstung zu Fuß zurücklegen müssen. Vielleicht müssen sie sogar den Hubschrauber mobilisieren und Wasser aus den Stauseen auf das Feuer abwerfen.«
    »Auf jeden Fall geht uns das nichts an«, meinte Cooper.
    »Gott sei Dank.«
    Ein Windstoß fegte über die Straße, und wieder klatschten Regenschauer in ihre Gesichter.Aber der Regen war zu schwach, um den Feuerwehrleuten eine Hilfe zu sein.
    »Ich glaube, die sind unten jetzt fertig und warten auf uns«, sagte Udall.
    »Okay.«
    Cooper warf einen letzten Blick auf das Moor über Withens. Der Rauch breitete sich weiter aus, während der Wind in niedriger Höhe über das Heidekraut hinwegstrich. Davor kreisten immer noch die beiden Krähen, schwärzer als der Rauch.

    Noch ehe die Sonne über dem Withens Moor aufgegangen war, hatte Neil Granger gewusst, dass er nicht allein war. Er hatte mit dem Rücken zu einem der Luftschächte über dem alten Eisenbahntunnel gestanden und gen Osten, in Richtung der anbrechenden Dämmerung geblickt. Kühle Luft wehte ihm ins Gesicht. Bald würde der erste Lichtschein zwischen den Felsspitzen des schwarzen Höhenrückens von Gallows Moss hervorlugen.
    Jeder Laut aus den ihn umgebenden Tälern war an seine Ohren gedrungen: das Spritzen des Wassers, als ein Vogel von einem der Stauseen im Tal von Longdendale aufflog, das Brummen eines Motors auf der A628. Jeder sanfte Windhauch versetzte das raue Gras in Schwingung, das, langen Fingern gleich, in der Dunkelheit nach Neils Hosenbeinen griff. Die Luft war so rein, dass er den ersten Dunst des Morgentaus, der aus dem Heidekraut aufstieg, als kalten, metallischen Geschmack in seinem Mund wahrnahm. Doch bereits in wenigen Minuten würde die Dämmerung die Dunkelheit und den Tau vertreiben.
    Die Geräusche, die aus der Nähe zu ihm drangen, hatten sich zuerst angehört, als würden auf dem Hang hinter ihm kleine Steine herunterrutschen. Das Geröll war lose, und die steigende Temperatur produzierte Spannungen im Gestein und versetzte möglicherweise die Steine in Bewegung. Doch allmählich wurde es Neil bewusst, dass jemand an den Luftschacht hinter ihm getreten war. Wahrscheinlich, um auf der anderen Seite der hohen, runden Mauer eine Verschnaufpause einzulegen.
    »Na, ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt«, sagte Neil. »Ich dachte schon, es würde keiner mehr kommen.«
    Seine Stimme sank hinab ins Tal und wurde vom Wind davongetragen. Er erhielt keine Antwort aus der Dunkelheit und lächelte.
    »Geht ziemlich steil hoch hier, wie? Ich bin
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