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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder
Autoren: Manfred Böckl
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Europa drang die Wüste, nachdem sie das Mittelmeer übersprungen hatte, bis zum Balkan, bis nach Mittelitalien und bis an den Südrand der Pyrenäen vor.
    Nördlich dieser neuentstandenen Wüstengebiete versteppten riesige Landstriche; in der Polregion wiederum schmolz, ebenso wie in den Hochalpen, das Eis ab, und das Ansteigen des Meeresspiegels verursachte grauenhafte Überschwemmungskatastrophen an den flachen Küsten von Nord- und Ostsee, welche Hunderttausende von Menschenleben kosteten.
    Abermillionen Männer, Frauen und Kinder verhungerten und verdursteten zur gleichen Zeit im hitzeglühenden Südeuropa, und noch größer war die Zahl derer, welche in den nun global tobenden Kriegen starben. Denn vielerorts auf dem Planeten kämpften die Armeen jener Staaten, die bislang noch einigermaßen intakt geblieben waren, jetzt um bewohnbares Land und um die letzten Ressourcen der Erde. Wie tollwütig fielen die Heeresverbände insbesondere der westlichen Hemisphäre und Asiens übereinander her, und die Panzerschlachten, Raketenhagel und Städtebombardements steigerten das Entsetzen oft ins Unermeßliche.
    Dennoch wurden von zahlreichen Menschen, denen die Augen aufgegangen waren, verzweifelte Anstrengungen unternommen, um die totale Globalkatastrophe trotz allem noch zu verhindern – aber alle Bemühungen dieser Einsichtigen waren vergebens. Denn unendlich mächtiger als sie waren die Feinde des Lebens: diejenigen, welche die mütterliche Erde, von hemmungsloser Machtgier und zügelloser Profitsucht getrieben, schon immer mit äußerster Skrupellosigkeit geschändet, vergewaltigt und ausgebeutet hatten. Abgrundtiefe Dummheit und zynische Bösartigkeit sorgten dafür, daß der Wahnwitz kulminierte – und deshalb taumelte das Dasein auf dem einstmals blauen und jetzt von schmutzigen Giftschleiern umhüllten Planeten nun dem finalen Desaster entgegen. Der globale Todeskampf allen Lebens begann: eine weltweite Agonie, die von menschlichem Irrsinn und Größenwahn ausgeboren worden war.
    Auch zwischen Lusen, Rachel und Arber und überall sonst im Waldgebirge setzte das grausame Sterben ein. Wild tobende Wirbelstürme, wie sie im Herzen Europas nie zuvor aufgetreten waren, fällten die sterilen Fichtenplantagen; die letzten schnellwüchsigen, noch aufrecht stehenden Baumstämme zerbarsten, längst ihrer Säfte beraubt, unter mörderischen Hagelunwettern. Myriaden toter Wurzelstöcke verrotteten im verschwefelten, unfruchtbar gewordenen Erdboden; die zersplitterten, langsam zerfallenden Relikte der wie von Riesenfäusten niedergeschlagenen und zerbrochenen Wälder erstreckten sich schier endlos über Berge und Täler.
    Da die Wasserkreisläufe ihrer Symbiose mit den Bäumen beraubt worden waren, zog sich das lebensspendende Naß aus dem nicht länger bewaldeten Gebirge zurück; die Bäche und Flüsse versiegten, und ihre Betten wurden zu Ketten stinkender Schleimtümpel. Zugleich, weil die zerstörten Forste keinen Sauerstoff mehr in die Atmosphäre ausatmen konnten, veränderte sich die Zusammensetzung der Luft. Und deswegen wurden insbesondere die Höhenzüge des einstigen Waldgebirges, wo die Luftschichten dünner als in den Niederungen waren, zur daseinsfeindlichen Bergwüste. Auf den Gipfeln blähten sich die Lungen der Tiere in hektischen Krämpfen, ehe die Vögel und das Wild krepierten – und was die Menschen anging, so wagte sich keiner mehr in die Höhenlagen des toten Mittelgebirges hinauf.
    Vielmehr verließen die ehemaligen Waldbewohner die Berggegenden und suchten Zuflucht draußen im Flachland: in den Stromniederungen von Donau, Isar und Inn, wo sie sich in den Refugien ihrer verwahrlosten Städte verkrochen. Auf diese Weise wurden die Täler und Hügelflanken der abgestorbenen Gebirgsregion menschenleer und öde – freilich waren nicht alle Bewohner geflohen, denn auf dem uralten Einödhof am Schwarzen Regen harrte das dort noch ansässige Bergbauernpaar wie unter einem unwiderstehlichen Zwang aus.
    Doch der letzte Nachkomme des Hofgründers fand nicht mehr die Kraft, die Eintragungen in dem Buch mit dem abgegriffenen Ledereinband weiterzuführen. Er wußte nichts mehr zu schreiben; starrte aber manchmal mit brennenden Augen auf die vergilbten Blätter, welche die Erinnerungen der Bewohner des Anwesens aus mehr als dreieinhalb Jahrhunderten bewahrten. Getreulich hatten die Ahnen des letzten Bergbauern die Höhen und Tiefen ihrer persönlichen Schicksale sowie so manches Ereignis der bayerischen,
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