Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
wie Sumpfschlamm, Kronleuchter wie riesige leuchtende Krabben. Schließlich fand sie das Stockwerk, wo sich der Klerus vom harten Auto-da-Fé- Tagwerk erholte. Sie schaute nacheinander in alle Zimmer, wie sie und Katz es vor Jahren im ›Deauville‹ getan hatten. Frömmigkeit und Luxus gediehen hier nebeneinander; auf jeden Altar kam eine Badewanne, auf jedes Jesusbild ein Massagebett. Kein schlechtes Leben, Euer Gnaden.
    Und das da, das mußte das Gemach des Großpastors sein, Himmelbett, Schreibtisch aus massiver Eiche, Orientbrücke. Leer. Sie schlich zum Fenster, ihre Schuhe ließen Dreck und tote Blätter auf dem Teppich zurück. Regentropfen schlugen gegen die Fensterscheibe.
    Sie wickelte sich in den Vorhang, machte es sich im roten Samt bequem und wartete.
    Als sie zehn gewesen waren, nur ein paar Wochen nach der Heilung jenes Timothy durch Katz, hatten sie beide ein Kruzifix aus dem Ventnor-Seminarraum gestohlen und den Jesus abmontiert. Die Arme wiesen leicht nach oben – eine perfekte Schleuder. Ein Gummiband mit Lederfleck wurde zwischen den Handgelenken angebracht. Dann verbrachten sie einen Nachmittag mit dem erfolglosen Versuch, die Seemöwen auf dem Boardwalk mit Murmeln abzuschießen.
    »Ich mag das nicht«, hatte Katz gesagt.
    »Respektlos?« hatte Phoebe gefragt.
    »Yeah.«
    »Wegen deines Bruders?«
    »Nein«, hatte Katz gesagt, »wegen der Möwen.«
    Milk trat ein. Filzpantoffeln, Seidenpyjama. Er kniete am Himmelbett nieder, faltete die Hände und begann mit Gott zu sprechen.
    »O Herr, Herr, meiner Sünden wegen ist er wiederum geschlagen, denn ich war es, der Sheila in Deine Stadt brachte, Herr, ich war es, ich allein…«
    Phoebe hatte irgendwo gelesen, wenn jemand einen Mord aus Rache begeht, verspürt der Täter hinterher qualvolle Reue. Nicht über die Tat selbst, sondern, weil er es verabsäumt hat, dem Opfer zwei Dinge zu sagen: Wer es umbringt, und warum.
    »Mach dich bereit, Billy Baby!« schrie sie und riß den Vorhang beiseite.
    Bastard. Er wartete nicht auf Erklärungen. Er rannte einfach zur Glastür, öffnete sie und verschwand auf dem Balkon. Er war schon halb auf dem Geländer, als sie ihn zu fassen kriegte. Wie eine Löwin beim Angriff auf eine Antilope sprang sie ihm auf den Rücken. Sie flogen beide über die Balustrade und baumelten über der regennassen Straße. Sie spuckte ihm ins Gesicht, biß ihn in die Hand und schlürfte das salzige Blut.
    Sie fielen. Fielen wie Regentropfen.
    O Scheiße, o Gott, o Katz, wenn du nur eine Mutter hättest…!
    Die Nachtluft zischte vorbei, und splat, genau mit diesem splat aus den Comics landeten sie in rettendem, weichem Schlamm. Starre Finger kratzten über ihre Wange. Leblose Augen beobachteten sie; ein Armbrustbolzen steckte in einer Augenbraue des Leichnams wie ein Zahnstocher in einer Olive. Sie blinzelte. Noch ein Körper und noch einer. Überall Leichen. Milk lag benommen und eingekeilt zwischen zwei Frauen ohne Kopf. Überall Tod, und jetzt Motorrumpeln, vibrierender Fahrtwind auf ihrem Gesicht.
    Ihr Kopf wurde klar. Ein Lastwagen. Ein Pick-up vom Zirkus: Leichenbeseitigung. Sie lachte. Gerettet durch den sündigen Tod. Schon brauste das Fahrzeug durchs Tropicana-Tor und dann über die streifige Schwärze des Highway. Milk bewegte sich nicht, schnaubte und keuchte. Apartmenthäuser zogen vorbei. Wohnungen, Kirchen, Farmhäuser. Wie eine brennende Fahne zuckte röhrend eine einsame Flamme auf einem Raffinerieturm. Metall in der Faust. Wunderbares Smith & Wesson-Metall. Sie legte sich über Milk, preßte die stählerne Mündung an seinen Kopf… Ah, da gab’s noch einen besseren Zugang, nicht wahr? Sie klappte den Lederfleck auf und schob den Revolver bis aufs Narbengewebe in die Höhlung, was sich anhörte wie ein Gummihammer, der aufs Knie trifft. »Weißt du, wer ich bin?« fragte sie.
    Milk verhielt sich merkwürdig freundlich, als entschädige ihn der Kitzel, unter einer Frau zu liegen, für ihre offensichtliche Mordabsicht.
    »Du bist Babylon, nicht wahr? Du bist dunkler geworden, Schwester!«
    Phoebes Mutter hatte ihr einst erzählt, jede Frau stelle sich vor, wie es ist, einen Penis zu haben, jeder Mann dasselbe mit einer Vagina. Gut, Reverend Milk, dachte sie und drehte den Revolver wie einen Schraubenzieher, das haben wir ja nun.
    »Verwüste mich, Babylon!«
    Der Wagen kam zum Stehen. Phoebe ließ den Revolver in Milks Kopf stecken, beugte sich zurück und sah, wie der Fahrer heraussprang und im Licht einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher