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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe
Autoren: Helen Fitzgerald
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fühlen, und sagt aus, dass er befürchte, »in solchen Situationen nicht richtig funktionieren« zu können. Er legt überdies eine durch mangelnde Empathie gekennzeichnete Haltung an den Tag, die sich insbesondere gegen Frauen zwischen zwanzig und vierzig richtet. Diese Fühllosigkeit wird sowohl durch die Beschreibung seines Opfer als »genau die richtige Fotze« belegt, als auch durch die Beschreibung seiner Mutter, die in jüngeren Jahren »die Kleinstadtnutte« gewesen sein soll.
    Mr Watsons Mutter, drogenabhängig und alleinerziehend, verließ ihren Sohn, als dieser im Alter von zwölf Jahren an Masern erkrankte. Der Junge wurde kurz darauf in staatliche Obhut genommen und hatte seitdem keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter.
    Überdies scheint Mr Watson Geschlechtsverkehr als ein persönliches Anrecht zu betrachten: »Sie trug einen Tennisrock, der ihr zwei Nummern zu klein war.« Er weist die Verantwortung für seine Tat zurück und streitet ab, seinem Opfer mehrmals heimlich gefolgt zu sein, ehe er die junge Frau auf der Straße angriff.
    Nach Ansicht des Unterzeichneten verfügt Mr Watson über keinerlei Opfereinfühlung. Er behauptet, dass »es ihr gefallen hat«, und stilisiert sich sogar selbst zum Opfer: »Diese Schlampe hat mein Leben ruiniert …«
    Gerade als Pete entlassen werden sollte, klingelte das Telefon. »Sie ist aufgewacht!«, sagte die Krankenschwester. »Der Arzt kommt gleich, um sie zu untersuchen, und ich habe den Ehemann angerufen; er ist schon unterwegs.«
    Vera Oh verfrachtete Pete in einen Polizeiwagen, raste zum Krankenhaus, eilte über lange Gänge und hastete die Treppe in den zweiten Stock empor. Aber sie fanden dort nicht das, was sie sich erhofft hatten – eine Celia, die nicht nur bei Bewusstsein, sondern auch zur Identifizierung ihres Peinigers imstande wäre. Stattdessen fanden sie Greg und seine Familie, die schmerzerfüllt schrien und weinten.

44
    Als ich die großen Augen im Spiegel anstarrte, wurde mir schlagartig klar, dass der Tod sich an meine Fersen geheftet hatte. Er hatte im selben Flugzeug wie ich gesessen und mich zur Passkontrolle am Flughafen begleitet. Er war mir ins Hostel gefolgt und hatte sich unter meinem Zimmer ausgetobt. Und jetzt war er hier: ein Typ mit John-Lennon-Brille und niedlichem Lächeln.
    Ich ging auf Zehenspitzen die Treppe hoch. Es war zu dunkel, um zu sehen, ob sich jemand im Entspannungsbereich aufhielt, aber da alles still war, schlich ich mich so leise wie möglich an den Liegestühlen vorbei. Nachdem ich mit angehaltenem Atem die Doppeltür geöffnet hatte und an der Küche vorbeigehuscht war, erreichte ich den Empfangstresen. In der Annahme, dass die Notrufnummer die gleiche wie zu Hause sei, wählte ich 000 – aber das funktionierte nicht. Ich versuchte es noch mal. Und noch mal.
    Als ich ein Geräusch hörte, legte ich auf und schlich mich zur Eingangstür. Dort tastete ich nach dem Schlüssel, den ich bei meiner Ankunft im Schloss stecken gelassen hatte. Er war nicht mehr da.
    Ich hörte das charakteristische Knarren des Duschboilers und weitere Geräusche aus dem Kellerbereich. Er musste wieder da unten sein. Ich huschte in die Küche und packte das große Messer, mit dem ich früher die getoasteten Käsesandwiches halbiert hatte. Dann öffnete ich die Doppeltür und betrat den stockdunklen Entspannungsbereich. Auf Knien kroch ich zu der Tür, die ins Schwimmbad führte. Der Radau im Keller wurde immer lauter – ein dumpfer Schlag, ein zweiter, ein dritter, dann ein Knall. Geräusche, als ob etwas über den Boden geschleift würde. Türen, die geöffnet und geschlossen werden. Ich wollte gar nicht genau wissen, was da unten geschah. Die Tür zum Schwimmbad ließ sich nicht öffnen, und mir fiel wieder ein, dass sie auf der anderen Seite vernagelt und überstrichen worden war. Ich sah mich in dem großen Raum um: keine Fenster, kein Fluchtweg. Mir dämmerte, dass der einzige Weg nach draußen durch das Fenster im Massageraum führte.
    Mit dem Messer ertastete ich langsam den Weg zur Treppe. Ich schlich an dem tränenförmigen Tauchbecken vorbei; kleine Lichtsprenkel tanzten auf dem Wasser. Stufe für Stufe tastete ich mich hinab zu Duschen und Massageraum.
    Die Geräusche verstummten, noch ehe ich am unteren Ende der Treppe angekommen war. Stocksteif blieb ich stehen und lauschte. Kam er schon näher? Was konnte ich tun? Ich sah mich nach einem Versteck um, aber da war keins, und rund um den Pool zitterte mein Ebenbild in jedem
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