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Die dunkle Macht des Mondes

Die dunkle Macht des Mondes

Titel: Die dunkle Macht des Mondes
Autoren: Susan Krinard
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weiter, bemerkte die ausgefransten Manschetten seines Hemdes, die Jacke, die schon bessere Tage gesehen hatte, die geflickten Hosen und die abgestoßenen Schuhe. Dieser Kerl hatte es nicht leicht im Leben, wahrscheinlich war er arbeitslos. Menschen wie ihn gab es in New York immer noch, auch wenn die Geschäfte blendend liefen und fast jeder am allgemeinen Wohlstand teilzuhaben schien.
    Jeder, bis auf einige Unglückliche: Männer, die im Krieg verkrüppelt worden waren, Witwen, die ihre Kinder ohne Vater aufziehen mussten, Immigranten, die sich im fremden Land noch nicht zurechtgefunden hatten, Alkoholiker, die ihr Geld nicht zusammenhalten konnten.
    Ihr Retter sah gesund und unversehrt aus. Er schien ihr nicht betrunken zu sein. Er konnte ein Ausländer sein, der nicht genug Englisch sprach, um einen vernünftigen Job zu bekommen.
    Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
    “Sie haben mir das Leben gerettet”, sagte sie mit krächzender Stimme, “danke.”
    Der Mann legte den Kopf zur Seite. Er sah ihr immer noch direkt in die Augen.
    Sie räusperte sich und zog sich den durchnässten Handschuh von ihrer zitternden rechten Hand. “Ich bin Gwen Murphy”, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
    Er sah hinab auf ihre zitternden Finger, als vermutete er, sie habe eine widerliche und ansteckende Krankheit. Sie wollte ihre Hand gerade wieder fortziehen, als er sie mit dem gleichen bulldoggenstarken Griff packte, mit dem er sie aus ihrem wässrigen Grab gezogen hatte.
    “Dorian”, sagte er und erfüllte die Luft wieder mit dieser seltsamen Musik. “Dorian Black.”
    Gwen musste fast lachen. Sie merkte, dass unter ihrer erzwungen ruhigen Oberfläche die Hysterie lauerte, und schluckte das Lachen hinunter. Wenn sie erst einmal damit anfing, würde es ihr vielleicht schwerfallen, wieder aufzuhören. Und Mr. Black sah nicht so aus, als würde er so eine Reaktion gutheißen.
    “Mr. Black”, sagte sie und erwiderte seinen Händedruck, so fest sie konnte, “ich weiß nicht, wie Sie es geschafft haben, genau dann aufzutauchen, als ich Sie am dringendsten brauchte, aber ich bin Ihnen sehr dankbar.”
    Er ließ ihre Hand los und legte seine Finger auf seinen Oberschenkel. “Es war mir keine Mühe”, sagte er. Er betonte jedes Wort sehr genau, als wäre Englisch eine zweite Sprache, die er sich sorgfältig angeeignet hatte. “Benötigen Sie einen Arzt?”
    Sie unterdrückte ein Zittern. “Es geht mir gut. Ich bin nur etwas durchgefroren. Und voller Wasser.”
    Immer noch durchbrach kein Lächeln sein gemeißeltes Gesicht, aber seine Brauen zogen sich zusammen, sodass sein Gesicht fast sorgenvoll aussah. Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern. Sie war nicht ganz sauber, aber Gwen war dankbar für die Wärme und die Geste.
    “Danke”, sagte sie.
    Er hob eine Schulter und zeigte ihr damit, wie unangenehm ihm die ganze Situation wirklich war. “Wie konnte das passieren?”, fragte er.
    Die Frage überraschte Gwen. Black war so wortkarg, dass es leichter schien, ihm einen Zahn zu ziehen, als ihm ein paar Sätze zu entlocken. Vielleicht interessierte es ihn auch gar nicht, aber sie musste es ihm anrechnen, dass er es wenigstens versuchte.
    “Ich bin Reporterin für den
Sentinel”
, sagte sie. “Ich war auf den Docks, weil ich einer Sache auf der Spur war. Und dann haben mich auf einmal ein paar Gangster angesprungen, die mich für leichte Beute hielten.” Plötzlich war ihr die ganze Sache sehr peinlich. Sie befühlte die anschwellende Beule an ihrem Hinterkopf. “Aber so leicht habe ich es denen nicht gemacht. Als ich mich gewehrt habe, hat mir einer von denen eins übergezogen und mich in den Fluss geworfen.”
    Black kniff die Augen zusammen. Er sah den Pier hinauf über die Uferpromenade, als könnte er dort noch die jungen Männer finden, die ihr das angetan hatten. Sogar wenn sie geblieben wären, um sicherzugehen, dass ihr Opfer wirklich ertrunken und erledigt war, würde man sie nicht mehr sehen, die nächste Straßenlaterne war fast hundert Meter entfernt, und es gab eine Menge Verstecke. Es war so nahe am Sonnenaufgang, dass die ersten Matrosen und Hafenarbeiter bereits in den Docks auftauchten. Wenn nicht gerade diese Mole einigermaßen verlassen gewesen wäre, wären die Gangster mit ihrem Angriff gar nicht erst so weit gekommen.
    “Ist es eine Angewohnheit von Ihnen, sich mitten in der Nacht in Hell’s Kitchen aufzuhalten?”, fragte Black, der sich ihr mit einer gewissen
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