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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen
Autoren: Silvio Huonder
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dass er auch bei seiner zweiten Aussage nicht die Wahrheit gesagt hatte. Tatsächlich hätte er selbst nur den Müller getötet. Die beiden Brüder Bonadurer hätten das Gleiche den Mägden angetan, behauptete er nun.
    Der Verhörrichter reagierte mit barscher Zurückweisung auf dieses neue Geständnis. Drei Versionen eines Tathergangs? Und er sollte sich jetzt eine aussuchen? Der Tiroler hielt ihn wohl zum Narren und wollte sich über das Kriminalgericht lustig machen. Es war an der Zeit, andere Mittel einzusetzen, um die Wahrheit ans Licht zu fördern. Er kündigte an, das Verhör am nächsten Morgen unter Mitwirkung des Scharfrichters Johannes Krieger fortzusetzen.
    Der Wärter Peider Paulin war an diesem Abend für die Nachtwache eingeteilt. Als es im Sennhof ruhig geworden war, schritt er die Türen ab und warf einen kurzen Blick in die Zellen. Das Gefängnis war zur Zeit gut belegt. Eine Vorarlberger Magd, von der es hieß, sie hätte den Pfarrer von Maienfeld bestohlen, ein Mann, der einen Ballen von zwanzig Ellen Seide von einem Saumross entwendet hatte, die beiden Bonadurer, jeder allein in einer Zelle, Rimmel und der lebenslängliche Stockersepp. Alle saßen oder lagen ruhig auf ihrem Strohlager, schliefen oder taten wenigstens so. Paulin ging in die Wachstube, zündete ein Licht an und spielte Karten gegen sich selbst. Später legte er sich auf die Pritsche, schlief ein, erwachte wieder, nahm die Laterne und machte einen zweiten Rundgang.
    Alle lagen ruhig im Stroh, alle, bis auf den Tiroler. Franz Rimmel stand hinter der Tür und starrte auf das kleine Klappfenster, als hätte er auf die Wache gewartet. Ob er ihm ein Gebet aufsagen könne, fragte Rimmel den Wärter, er selbst habe es leider verlernt.
    Paulin wunderte sich über den Wunsch und wurde misstrauisch. Er dürfe ihm die Tür nicht öffnen, sagte er. Das sei auch nicht nötig, erwiderte Rimmel, ein Gebet durch das Fenster reiche ihm aus. Das konnte er ihm schlecht ausschlagen, also sagte Wärter Paulin das einzige Gebet auf, das er kannte: Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name; zu uns komme Dein Reich; Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden! Unser tägliches Brot gib uns heute; und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern; und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Amen.
    Rimmel schien zufrieden und bedankte sich. Der Wärter kehrte in die Wachstube zurück.
    Rimmel war nicht zufrieden. Nicht mit sich selbst und nicht mit der Welt. Nun hatte er schon elf Tage in dieser Zelle verbracht. Er hatte Zeit gehabt. Über alles nachzudenken. Er hatte nichts anderes mehr getrunken als klares Wasser. Er hatte gezittert und den Wärter um einen Schluck Schnaps gebeten. Er sei krank, hatte Rimmel gesagt, er habe Gliederschmerzen, Schüttelfrost, Fieber, und er brauche einen Schluck. Der Wärter hatte ihn ausgelacht und ihm Wasser gebracht. Klares Wasser. Genau so klar sah er nun sein Schicksal vor sich: Ob ein einzelner Mord oder drei oder fünf, wie sie sagten, weil die Mägde beide schwanger waren, es lief immer auf dasselbe hinaus. Der Franzisk aus dem Lechtal würde gehenkt werden. So oder so, in jedem Fall. Und morgen früh kam der Scharfrichter zum Verhör. Rimmel wollte sich nicht vorstellen, was für Instrumente und Geräte der Scharfrichter mitbringen würde. Er wollte auch nicht darüber nachdenken müssen, was für Schmerzen ihm damit zugefügt werden konnten.
    Wozu diese Tortur erleiden, wenn am Ende sowieso der Galgen stand?
    Es gab eine Möglichkeit, diesen Weg abzukürzen.
    Nun hatte er ein Gebet für sich sprechen lassen. Wenn es vielleicht auch zu dürftig war, so doch wenigstens ein Gebet.
    Denn was er nun vorhatte, war die größte aller Sünden.
    81 Am frühen Morgen des 27. Juli, an einem Freitag, fand man Franz Rimmel tot in seiner Zelle. Er hatte sich seine Seidenkappe und das Schnupftuch in den Mund gestopft und sich mit den Hosenträgern am Fenstergitter erhängt.
    Der Baron stand fassungslos in der offenen Zellentür und starrte auf den Toten. Er sah zu, wie der Arzt sich erhob und den Kopf schüttelte. Hier gab es keine Wahrheit mehr zu finden.
    Das Kriminalgericht beschloss, Rimmels Leichnam auf einer Kuhhaut zum Galgen schleifen zu lassen. Dort sollte er aufgehängt werden und zur Abschreckung aller so lange hängen bleiben, bis er von allein herunterfiel. Damit dies nicht allzu schnell geschah, wurde beim Sattler eine besondere
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