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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen
Autoren: Silvio Huonder
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ließ sich auf den Boden nieder und lehnte sich an die Scheunenwand. Die schwachen Streifen zwischen den Holzbrettern waren verschwunden. Völlige Dunkelheit hatte ihn umfangen. War das sein weiteres Leben? Mit gesichtslosen Gestalten in einer finsteren Scheune? Dann kam ihm der Gedanke, dass er bereits gestorben war, im Fluss ertrunken, angekommen im Totenreich. Irgendwann wurde eine Decke über ihn gelegt, sie stank und kratzte auf der Haut.
    73 Etwas zupfte den Baron am Ärmel und riss ihn aus seinen Erinnerungen. Die Frau war aus dem Haus getreten und bot ihm eine Tasse mit heißer Milch an. Er nahm sie dankend an.
    Inzwischen trafen immer mehr Männer ein, alle in Mänteln und mit Hüten. Sie drängten sich trotzdem unter dem Vordach zusammen, um vor dem Regen geschützt zu sein. Alle hatten sie kräftige Stöcke in der Hand, die sie sonst zum Viehtreiben benutzten, und Laternen und Fackeln, die noch nicht brannten. Der Baron schüttelte jedem einzelnen die Hand. Dann kam Fidel Caprez mit den letzten drei Männern.
    Wir sind bereit, sagte er.
    Was machen wir jetzt?, fragte einer.
    Wir räuchern das Gesindel aus, sagte Caprez.
    Das Schloss Löwenberg, begann der Baron, ist seit über zwanzig Jahren unbewohnt, wie ihr wisst. Gesetzloses Pack benutzt es als Unterschlupf. Darunter befinden sich möglicherweise die beiden Brüder Hansmartin und Hans Bonadurer. Die beiden werden wegen des Mordes in der Weihermühle zu Bonaduz mit kantonalem Steckbrief gesucht. Als Verhörrichter und Leiter des Landjägerkorps erbitte ich hiermit eure Unterstützung. Alle Personen, die wir im Schloss antreffen, werden verhaftet. Als Verhörrichter führe ich das Kommando und erteile euch ausdrücklich das Recht, bei Gegenwehr oder Fluchtversuch Gewalt anzuwenden. Aber nur unter Benutzung eurer bloßen Hände oder eines Knüppels. Andere Waffen oder Werkzeuge wie Heugabeln oder Äxte sind nicht gestattet. Landjäger Hostetter und Rauch sind mit Stutzern und Pistolen bewaffnet und dürfen auf die Fliehenden schießen. Nehmt genug Stricke mit, um die Verhafteten fesseln zu können. Und reichlich Fackeln und Laternen. Es wird dunkel sein, wenn wir zum Schloss kommen.
    Das Licht würde uns verraten, wandte Caprez ein, dann sehen sie uns schon, bevor wir dort sind. Wir müssen im Dunkeln zuschlagen.
    Das Gesetz braucht die Dunkelheit nicht, antwortete der Baron.
    Wir wollen die Bagage doch nicht fliehen lassen, beharrte Caprez, wir sollten Fackeln und Laternen mitnehmen, sie aber erst anzünden, wenn wir im Schloss sind.
    So machen wir es, willigte der Baron ein. Wir fahren mit der Kutsche bis auf die Anhöhe voraus, dort werden wir uns aufteilen und die Fluchtwege absichern. Wir wollen keine unnötigen Geräusche machen. Landjäger Rauch wird euch zu Fuß anführen.
    Die Gruppe marschierte zur Karosse hinüber und folgte ihr in den oberen Dorfteil hinauf. Fidel Caprez war auf den Kutschbock geklettert und wies Hostetter den Weg. Der Baron saß allein in der Karosse. Unter den schweren Regenwolken war es früh dunkel geworden.
    74 Er war damals in eine Gruppe Landstreicher geraten. Es waren verwahrloste Personen, vielleicht ein Dutzend. Männer, Frauen, Kinder, schmutzig, stinkend, in Lumpen gekleidet. Glänzende Augen wie kleine Löcher im Kopf, aus denen ihn hungrige Wesen anblickten. Heinrich hatte noch nie solche Menschen gesehen. Er hatte oft von ihnen gehört, von den Vagabunden, dem streunenden Gesindel, aber die hier waren ganz anders, als er sie sich vorgestellt hatte. Sie waren erschreckend dürr und hässlich, und sie stanken so fremdartig. An einigen von ihnen entdeckte er seine Kleider wieder, den Rock, das Hemd. Er selber bekam stattdessen ein zerrissenes grobes Hemd. Die weiße Halsbinde zierte fortan den Hals jenes Mannes, der die Gruppe anführte und von ihnen Hannes genannt wurde.
    Der Mann schubste auch Heinrich aus der Scheune, als es draußen hell wurde. Er wurde einfach mitgenommen, zog mit dem verlumpten Haufen durch den Wald. Tage verstrichen. Er wunderte sich, dass sie die Nähe der Häuser mieden und einen Bogen um die Ortschaften machten. Außer frühmorgens oder in der Abenddämmerung. Dann warteten sie im Dickicht, während Hannes mit ein paar Begleitern auf die Häuser zuging. Sie blieben nur kurz weg, und als sie zurückkamen, trieben sie die anderen durch den Wald davon. Abends wurde ein Feuer gemacht und einmal ein Huhn gerupft und gebraten. Heinrich schaute zu, krank vor Hunger. Er verstand ihre Sprache
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