Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin
Autoren: Caren Benedikt
Vom Netzwerk:
hintersten Ecke des Raumes und schlief.
    »Ist er verletzt?«
    Der Junge schüttelte den Kopf. »Nur betrunken. Ist besser, wenn er schläft.«
    Sie wandte sich um. »Wo sind deine Eltern? Wir brauchen ein Lager für die Nacht.«
    »Mein Vater wird bald zurück sein. Wie viele seid ihr?«
    »Sechs und ein Ochse.«
    »Dann werdet ihr genug Platz in der Scheune finden.«
    Margrite nickte und gab den anderen ein Zeichen, ihre wenigen Habseligkeiten abzuladen und zum Stall hinüberzubringen.
    »Trag uns Essen und Trinken zusammen und bring es zum Lager.« Sie drückte dem Jungen zwei Münzen in die Hand. »Dies wird für eine Nacht reichen, morgen ziehen wir weiter. Und das hier«, sie zog einen Pfennig hervor, »ist nur für dich, das brauchst du deinem Vater nicht zu sagen.«
    »Danke.«
    »Nun geh und bereite uns das Essen. Wir sind hungrig.« Margrite verließ die Schankstube. Bevor sie die Tür schloss, warf sie jedoch noch einen letzten Blick auf den Trunkenbold in der Ecke. Ein Gefühl, auf das sie sich bisher noch immer hatte verlassen können, riet ihr zur Vorsicht. Er schien ihr einer der Männer zu sein, denen man als Frau besser aus dem Wege ging. Instinktiv tastete sie nach dem Messer, das sie sich unter ihrer Kleidung mit einem Band um die Hüfte herumgebunden hatte. Sie würde es heute Nacht lieber in der Hand behalten. Dann schloss sie die Tür.
    Als sie die Scheune erreichte, hatten die anderen bereits den Ochsen ausgespannt, den Karren abgeladen und sich jeder einen Platz für die Nacht gesucht. Der Strohgeruch stieg ihr in die Nase. Es war kein frisches Stroh, wie sie es von früher her kannte. Doch es erinnerte sie an ihr ehemaliges Zuhause, an Sorglosigkeit, an eine Wiese, auf der sie als Kind gespielt hatte. So schön diese Erinnerungen auch waren, dachte sie trotzdem nur ungern an jene Zeit zurück. Zwar waren seit damals viele Jahre vergangen, doch der Schmerz über den Verlust war geblieben. Margrite ballte die Hände zu Fäusten. Ihre Fingernägel bohrten sich in die Haut ihrer Handflächen. Ihr tat es wohl, verdrängte die kleine Verletzung doch den weit tieferen Schmerz, den sie in sich trug.
    »Da bist du ja. Hast du dem Jungen Bescheid gegeben, dass er uns Bier bringen soll?«
    »Du kriegst gleich was zu saufen. Der Bengel hat hier keine Hilfe. Er bereitet das Essen und bringt uns dann alles rüber.« Margrite ließ ihr Bündel gleich an der ersten freien Stelle zu Boden gleiten.
    »Warum gehen wir nicht in die Schankstube? Dort können wir am Tisch essen und saufen, ohne dass der Bursche hin und her laufen muss?«, fragte Cecilie.
    »Weil da drin ein Besoffener liegt, der stärker stinkt als ein ausgeweidetes Schwein.«
    »Dann packen wir ihn eben an allen vieren und schmeißen ihn raus«, mischte sich nun auch Anderlin ein. »Cecilie hat recht. Wenn wir schon in einem Wirtshaus übernachten, will ich auch an einem Tisch essen.«
    »Ich sage euch, mit dem Kerl da drin gibt es nur Ärger«, versuchte Margrite die anderen abermals zu überzeugen. Doch sie wusste, dass es zwecklos war. Die fünf standen bereits am Scheunentor und sahen sie an, gespannt, wie die Auseinandersetzung ausgehen würde. Sie wollten sich die Bequemlichkeit gönnen, ihre Speisen nicht wie auf der Wanderung, auf dem Boden vornübergebeugt, einnehmen zu müssen. Sie würde sie nicht umstimmen können. »Wenn ihr es unbedingt wollt.«
    Als sie die Scheune verließen, wären sie fast mit dem Jungen zusammengestoßen, der, mit Speisen beladen, das Tor zu öffnen versuchte.
    »Gib schon her«, forderte Anderlin ihn auf und nahm ihm das Bier ab. »Wir kommen in die Schänke. Du kannst alles andere dort auftischen.«
    Der Bengel zögerte einen Moment, entgegnete aber nichts und folgte seinen Gästen in die Wirtschaft. Die Tür stand offen, und der Mann, der noch kurz zuvor in der Ecke gelegen hatte, war fort.
    »Wo ist denn nun dein stinkendes Schwein, Margrite?«, fragte Otto.
    »Eben war er noch hier«, gab sie schulterzuckend zurück. »Umso besser. Aber lasst die Tür offen stehen. Sein Gestank ist geblieben.«
    Der Junge tischte reichlich auf. Vermutlich mehr, als sein Vater den Gästen für das Geld geboten hätte. Wann immer noch Bier oder Schinken verlangt wurde, eilte er sich das Gewünschte herbeizuholen. Bestimmt würde er Prügel beziehen, dachte Margrite, wenn der Wirt zurückkäme und seine Bestände prüfte. Sie gab vor austreten zu müssen. Ohne dass die anderen es mitbekamen, sagte sie dem Knaben im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher