Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dritte Sünde (German Edition)

Die dritte Sünde (German Edition)

Titel: Die dritte Sünde (German Edition)
Autoren: Eva-Ruth Landys
Vom Netzwerk:
sogar bei Hofe höchst geachtet war und als moralisch absolut integer wahrgenommen wurde, zu einer lebenslangen gesellschaftlichen Isolation, von der ihr Lebenspartner aber erstaunlicherweise nicht im gleichen Maße betroffen war. Er konnte sich weiterhin in gewissem Rahmen in der Gesellschaft bewegen. Bei der öffentlichen großen Empörung über den unmoralischen Lebenswandel Eliots wurde allerdings geflissentlich übersehen, dass die allgemein bedauerte tatsächliche Ehefrau von George Henry Lewes (dem Lebenspartner Eliots) ihrerseits drei (!) uneheliche Kinder von dessen bestem Freund empfangen hatte, die von Lewes und Eliot wie selbstverständlich unterhalten und alimentiert wurden. Da eine Scheidung nicht möglich war, blieb es bei dem im Grunde widersinnigen Arrangement. Dies zeigt zwei typische Aspekte des Victorianismus auf: Einerseits die extrem prüde öffentliche Moral, die sich vor allem gegen die Frau richtete und die Fähigkeit der so geknechteten Ehefrauen, eben diese Moral zu umgehen. Man durfte sich eben nicht erwischen lassen, dann war viel möglich! Oder aber, man breitete einvernehmlich den Mantel des Schweigens über die entsprechenden Verhältnisse, was eine sehr häufige Praxis darstellte: Es gibt beispielsweise dokumentierte Beziehungen, in denen sich zwei (oder mehr) Frauen einen Mann teilten oder gar die Ehepartner untereinander wechselten – oder aber in besseren Häusern die Gouvernante selbstverständlich auch dem Herrn des Hauses zur Verfügung stand. Kein Wunder, dass Gouvernanten wenig beliebt bei den Damen des Hauses waren! Gleichzeitig blühte das Prostituiertenwesen. Da Männer ihre sexuellen Fantasien mit ihren Ehefrauen, die zu Standbildern stilisiert wurden, nicht ausleben durften, war die allgemeine Praxis, dass der regelmäßige Besuch von Bordellen unterschiedlichster Ausstattung, von sehr edel und kostspielig bis hin zu billigen Straßenhuren, geduldet, ja geradezu erwartet wurde. Eine Statistik um 1840 spricht von achtzigtausend registrierten Prostituierten allein in London! Geschlechtskrankheiten wie die Syphilis waren deshalb weit verbreitet. Selbst in der moralischen Ratgeberliteratur wurde diese Praxis aber ironischerweise als »Ehehygiene« ausdrücklich gutgeheißen. Keinesfalls geduldet wurden aber sexuelle Perversionen und hier insbesondere Homosexualität. Diese »sodomistischen« Praktiken waren in England, wie im Roman dargestellt, mit der Todesstrafe (bis circa 1840, später in der Praxis in schwere Zwangsarbeit umgewandelt) belegt. Den Dichter Oscar Wilde ereilte dieses Schicksal, er war homosexuell und wurde in einem aufsehenerregenden Prozess zur Zwangsarbeit verurteilt. Wenige Jahre später verstarb er an den Haftfolgen.
    Die Situation der Frauen in den ärmeren Schichten der Bevölkerung stellte sich noch dramatischer dar. Ohne Chance auf Bildung, ohne medizinische Versorgung, ohne Verfügungsgewalt über die eigene Lebensführung und natürlich auch ohne die geringste soziale Absicherung waren ihre Aussichten katastrophal. Eine Anstellung als Dienstmädchen war durchaus begehrenswert im Gegensatz zum Schicksal von Arbeiterinnen oder landwirtschaftlichen Mägden, aber auch die Situation der Dienstmädchen verschlechterte sich im Victorianismus entscheidend. Ausgebeutet und nur mit geringem Lohn bedacht, wurden diese, gemäß der biedermeierlichen Attitüde des vordergründig wohlgepflegten Heimes, immer mehr in die unsichtbaren Bereiche des Hauses verdrängt, unwürdigen Wohnbedingungen und schlechter Behandlung  ausgesetzt sowie hilflos den Übergriffen der Herrschaft anheimgegeben. Auch waren sie in der Hierarchie der Bediensteten auf dem untersten Level angesiedelt. Diese Hierarchie war streng und bildete wie eine Karikatur die Verhältnisse in den oberen Bereichen der herrschaftlichen Häuser ab. Ganz oben auf der Sprosse stand der Chefbutler und/oder die Haushälterin, dann folgten die Köchin sowie der Kammerdiener des Hausherrn. Diese Personen wurden auch mit Mr oder Mrs (ohne Berücksichtigung des ehelichen Standes) angesprochen. Auch der Stallmeister und der oberste Gärtner hatten gewissermaßen eine herausgehobene Stellung. Dann folgten die anderen Bediensteten, unter ihnen als prima inter pares die Zofe der Herrin, die für die persönlichen Belange der Herrin in vollem Umfang verantwortlich war bis hin zum Flicken der Kleidung. Ganz unten in der Hierarchie standen die Hausmägde, die für die Reinigung des Hauses und das Wasserholen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher