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Die dritte Sünde (German Edition)

Die dritte Sünde (German Edition)

Titel: Die dritte Sünde (German Edition)
Autoren: Eva-Ruth Landys
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berechtigt. Jedoch versuchten sie der Verantwortung, die mit der Macht einherging, auch gerecht zu werden, wenn auch aus heutiger Sicht mit einer recht hochnäsigen und repressiven Einstellung gegenüber fremden Kulturen. Rücksichtsloser Kolonialismus und Imperialismus ist dabei ein eher spät auftretendes (etwa ab 1870) und gesamteuropäisches Phänomen, dessen Nachteile auch in England durchaus kritisch gesehen wurden, bei aller Ideologisierung. Über die weitaus wichtigste Phase der Regentschaft Victorias hinweg, in den Jahren 1840 bis etwa 1860 (manche Historiker setzen die Marke auch bei den amerikanischen Sezessionskriegen) war das englische Mutterland aber vor allem geprägt von sozialen Umschichtungen und dem politischen und ethischen Ringen darum, mit den sich rasant verändernden Lebenswelten zurechtzukommen.
    Mit der Erfindung der universell einsetzbaren Dampfmaschine zur Energieerzeugung und -übertragung durch James Watt 1783 brach mit Macht das Zeitalter der Industrialisierung an. England erwies sich hier, bedingt durch günstige politische und geographische Verhältnisse (Insellage), als innovationsfreudiger Vorreiter, der lange Zeit die wirtschaftliche Entwicklung dominierte. Das übrige Europa konnte dem britischen Standard von Produktion und Innovationskraft lange Zeit nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen. Hier mag der in Filmen oft transportierte Mythos von sagenhaften Erfindungen begründet sein, besonders seit der Einführung der effektiveren und deutlich kleineren Hochdruckdampfmaschinen (etwa ab 1820), die ungeahnte Nutzungsmöglichkeiten erschlossen (zum Beispiel die Dampflokomotive!). Dann aber holte Europa langsam auf (vor allem durch intensiv betriebene Industriespionage) und die englische Wirtschaft geriet zunehmend unter Druck durch ausländische Konkurrenz. Weitere inländische Faktoren machten dem britischen Empire zu schaffen. Im 19. Jahrhundert kam es aus ungeklärten Gründen zu einer erheblichen Bevölkerungsexplosion. Zudem veränderten sich durch die im Roman erwähnte Enclosure in den Jahren vor 1832 die ländlichen Strukturen. Bauern wurden von den reichen Gutsbesitzern und Adligen enteignet und zu Pächtern gemacht oder ganz von ihrem Land vertrieben. Diese von Hunger getriebenen, recht- und heimatlosen Massen strömten in der Folge auf der Suche nach Arbeit in die schnell anwachsenden Industriestädte der Midlands und des Nordens. Zwischen 1830 und 1870 verneunfachte (!) sich die Bevölkerung von Städten wie Manchester und Birmingham beispielsweise, während die Londons um das Vierfache anwuchs. Eine neue gesellschaftliche Schicht bildete sich heraus: die der Arbeiter. Gleichzeitig entstand ein neues Bürgertum, eine potente, finanziell hervorragend aufgestellte Mittelschicht aus Kaufleuten und Unternehmern, denen es zunehmend auch um politischen Einfluss ging und die ihre Bedeutsamkeit mit palastähnlichen Herrenhäusern und repräsentativen Stadthäusern zu unterstreichen suchte. Die bisherige, seit Jahrhunderten geltende Gesellschaftsordnung löste sich binnen weniger Jahrzehnte auf und verlangte nach neuen adäquaten Antworten. Revolutionäre Ideen wurden geboren: Nicht umsonst entstand das kommunistische Manifest, verfasst 1847 von Engels und Marx, in der Industriestadt Manchester. Aber auch gemäßigtere Denker wie John Ruskin, Thomas Carlyle oder John Stuart Mills machten von sich Reden, genau so wie besonnene und gestaltende Politiker vom Schlage Robert Peels oder Edward Gladstones. Es war schließlich Aufgabe des Staates, auf die sich rasant verändernde soziale Situation politisch zu reagieren.  Dem standen aber die intensiv und machtvoll verfochtenen Interessen des Adels entgegen. Auf dem Festland führte eine ähnliche Entwicklung zu Revolutionen, England dagegen gelang der gesellschaftliche Kompromiss, jedoch nicht ohne erhebliche Kollateralschäden.
    Obwohl England in der Geschichte weitgehend als Mutterland der parlamentarischen Demokratie gilt, ist zu beachten, dass das Parlament, bestehend aus Oberhaus und Unterhaus, sich eher als ein autonomes und von der politischen Öffentlichkeit abgeschirmtes Machtzentrum verstand. Von einem allgemeinen Wahlrecht konnte ebenfalls keine Rede sein. Die Wirklichkeit war eine beschämend andere. Bis 1832 hatte nur ein verschwindend geringer Teil der männlichen Bürger das Wahlrecht. Dieses war an Landbesitz und Vermögen gebunden, sodass die eigentliche Gesellschaftsrealität, nämlich die Ballung der Bevölkerung
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